09.12.2011

Perfekte Schicht für den richtigen Spin

PETRA III erhellt chemische Struktur von vielversprechendem Spintronik-Material

Immer schneller, immer leistungsfähiger: Die Elektronik der nächsten Generation heißt Spintronik. Sie rechnet nicht alleine mit der elektrischen Ladung der Elektronen, sondern auch mit deren Eigendrehung, dem sogenannten Spin. An der weltweit brillantesten Röntgenquelle PETRA III am DESY haben Forscher um Martina Müller vom Forschungszentrum Jülich jetzt ein vielversprechendes Material für die Spintronik erkundet: Europium-Oxid, das sich hervorragend eignet, um einen Elektronenstrom mit festgelegtem Spin in einem Silizium-Halbleiter zu erzeugen und auch wieder auszulesen, wie die Wissenschaftler im Fachblatt "PSS Rapid Research Letters " berichten. Das Journal widmet der Studie die Titelseite.

Titelbild: Verlag

Die Spintronik ermöglicht nicht nur schnellere Bauteile, sondern auch ganz neuartige Funktionen. Ein prominentes Beispiel für Spintronik auf der Basis von magnetischen Metallen ist die Entdeckung des Riesenmagnetowiderstands (GMR), für die 2007 der Physiknobelpreis verliehen wurde. Dieser Effekt wird seit etwa 2005 für Leseköpfe in Computerfestplatten ausgenutzt und beschert den Anwendern seitdem üppige Speicherkapazitäten. Ein nächster Schritt wäre die Entwicklung halbleiterbasierter Spintronik, beispielsweise sogenannter Spintransistoren. "Das Ziel ist eine Materialkombination, die sich gut in die bestehende Siliziumtechnologie integrieren lässt", erläutert DESY-Physiker Wolfgang Drube aus dem Forscherteam. Ein geeignetes Material wäre zum Beispiel Europium-Oxid, das strukturell, chemisch und elektronisch zu Silizium passt.

Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg ist der Gruppe um Müller nun gelungen, wie die Untersuchungen zeigen. Die Materialforscher ließen eine 4,5 Nanometer (millionstel Millimeter) dünne Schicht aus Europium-Oxid direkt auf Silizium wachsen. "Europium-Oxid ist einer der hoch gehandelten Kandidaten für sogenannte Spinfilter, mit denen man also einen Elektronstrom mit hoher Spinpolarisation in einen Halbleiter injizieren kann", sagt Drube. "Der wesentliche Punkt ist jedoch: Das funktioniert nur dann wirklich gut, wenn das Europium in der Form Europium-Oxid als zweiwertiges Europium vorliegt. Sobald es eine Beimischung von dreiwertigem Europium gibt, geht das nicht mehr." Hinzu kommt, dass auch das Silizium in der Schichtproduktion nicht oxidieren darf. Das würde ebenfalls die gewünschte Spinpolarisation stören.

Schnelle Elektronen dank einzigartiger Brillanz

Die chemische Zusammensetzung der produzierten Schichten lässt sich von außen jedoch nicht erkennen, zumal die frisch präparierte Europium-Oxid Nanoschicht zum Schutz mit einer 4 Nanometer dicken Aluminiumlage überzogen ist. Prinzipiell ist die sogenannte Photoelektronen-Spektroskopie sehr geeignet zur genauen chemischen Untersuchung von Materialien.  "Allerdings sehe ich mit dieser Methode üblicherweise nur die Oberfläche, also die ersten paar Atomlagen", erklärt Drube. "So eine relativ dicke Struktur, es sind ja schon achteinhalb Nanometer bis zum Silizium, lässt sich mit den üblichen Energien der Elektronen gar nicht durchdringen."

Mit einer neuen Anlage bei PETRA III am Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg ist es jedoch möglich, unter Ausnutzung der einzigartigen Brillanz von PETRA III sehr schnelle Photoelektronen zu erzeugen und damit tief in die Proben hineinzublicken bis in die Siliziumschicht.

Ausbaupotenzial

Es zeigte sich, dass es den Jülicher Forschern gelungen ist, eine fast reine Schicht Europium-Oxid ohne störende Beimischungen direkt auf dem Silizium wachsen zu lassen. Und auch das Silizium ist sozusagen ungestört. "Das ist entscheidend", betont Drube. "Siliziumoxid taucht so gut wie nicht auf." Bei einer anderen, schlechteren Probe lassen sich hingegen die unerwünschten Oxide deutlich erkennen.

Diese empfindliche Untersuchungstechnik hat Ausbaupotenzial: Multischichten sind im Hinblick auf die Anwendung in der Elektronik ein wachsender Forschungsbereich. Oft geht es dabei um komplexe Anordnungen sehr vieler Nanometer dicken Schichten. Dazu passt, dass die Untersuchungstiefe der Photoelektronen-Spektroskopie durch die neuen Anlagen, von denen es weltweit nur wenige gibt, gesteigert wurde. "Man kann derzeit bereits einige zehn Nanometer in eine solche Multischicht hineingucken, und das ist auch ungefähr die Skala, auf der diese Multischichten entstehen", berichtet Drube. "Das passt sehr gut zusammen, und da wird noch viel passieren."

Originalartikel: DOI: 10.1002/pssr.201105403