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22.06.2012
Helmholtz fördert die Kommerzialisierung eines neuen Industriestandards für Elektroniksysteme
Moderne Beschleuniger sind hochkomplizierte Maschinen; zu ihrer Steuerung ist eine hochpräzise und schnelle Technik erforderlich, die viele Datensätze parallel verarbeiten kann. Um dieses Problem zu lösen, wurde bei DESY in den letzten Jahren eine neue Generation von Steuerungselektronik für die Freie-Elektronen-Laser FLASH und European XFEL entwickelt. Bei der Einführung dieses sogenannten Low Level RF Systems, das auf dem neuen elektronischen Standard MTCA.4 basiert, hat sich der unter DESY-Federführung geschaffene Standard als so multifunktionell erwiesen, dass er jetzt mit Mitteln aus dem Helmholtz-Validierungsfonds für die Kommerzialisierung und den Einsatz in Industrieunternehmen und andere Großforschungsprojekte vorbereitet wird. Die Kosten von ca. 4 Millionen Euro für dieses Projekt werden von der Helmholtz-Gemeinschaft, DESY und Partnern aus der Industrie getragen.
Beim Betrieb von Linearbeschleunigern, die die Teilchen nur ein einziges Mal durchqueren, kann man nicht mehr – wie bei klassischen Speicherringen – eine Kenngröße messen und in der nächsten Teilchenrunde regulierend eingreifen. Stattdessen müssen aus den Daten eines Teilchenpakets, das bereits im Beschleuniger ist, die Startwerte für die nächsten Teilchenbündel bestimmt werden. DESY hat hierfür eine Regelungshardware entwickelt, die bereits auf die nächsten Teilchenpakete im selben Paketzug einwirken kann. Sie muss dafür allerdings eine große Bandbreite von Daten sehr schnell parallel verarbeiten. Um die Hochfrequenz des supraleitenden Linearbeschleunigers für den European XFEL zu steuern, wurde von den Entwicklern der recht junge Elektronikstandard MTCA.4 (Micro Telecommunications Computing Architecture) eingesetzt. Dieser Standard wurde unter maßgeblicher Beteiligung von DESY innerhalb einer Arbeitsgruppe der PICMG (PCI Industrial Computers Manufacturers Group) erarbeitet und im Oktober 2011 verabschiedet. Er löst den 30 Jahre alten in der Forschung immer noch sehr verbreiteten VME-Standard ab.
DESY entwickelte auf Basis von MTCA.4 ein System von Steuerungsplatinen, die analoge wie digitale Signale verarbeitet und vereint. Das System kann bis zu 100 Kenngrößen in Echtzeit mit einer Rate von mehreren 100 Msps (Mega samples per second: Millionen Samples pro Sekunde) auslesen, lässt sich durch ein integriertes Managementsystem aus der Ferne bedienen und warten und bietet eine enorme Skalierbarkeit, ist also von kleinsten Einheiten bis zu komplexen Riesensystemen einsetzbar und erweiterbar. Gleichzeitig besteht das System aus kleinen Modulen, die unterschiedlich kombiniert werden können. Die Module sind in genormten Elektronik-Einschüben, sogenannten Crates eingesetzt und können bei laufendem Betrieb gewartet und ausgetauscht werden. Diese Flexibilität in Funktion und Aufbau eröffnen eine ganze Palette von Einsatzmöglichkeiten in der Industrie, z.B. in der Telekommunikation, Online-Inspektion, Luftfahrt, Medizintechnik oder Präzisionsmesstechnik.
Zusammen mit sieben Industrieunternehmen treibt DESY jetzt die Kommerzialisierung des Standards voran. Hierfür werden die bereits erprobten Elektronikboards und Komponenten weiterentwickelt und für den industriellen Einsatz optimiert. Diese Module wird DESY in Form von Lizenzen nach außen geben. Außerdem soll im Rahmen des Validierungsprojekts die Produktpalette komplettiert und auf spezielle Bedürfnisse der Industrie erweitert werden. Die Einführung des Standards zur industriellen Prozesssteuerung wird durch eine umfangreiche Beratung durch DESY und den involvierten Firmen vorangetrieben werden. Das für zwei Jahre geplante Projekt wird mit gut 1,9 Millionen Euro aus dem Helmholtz-Validierungsfonds, 0,7 Millionen Euro von den beteiligten Unternehmen und 1,4 Millionen Euro von DESY finanziert.