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21.12.2012
"Science" kürt Röntgenlaser-Studie zur Schlafkrankheit zu einem der Top Ten der Wissenschaft 2012
Die erste Entschlüsselung einer zuvor unbekannten biologischen Struktur mit einem Röntgenlaser gehört für das renommierte Fachjournal "Science" zu den zehn wichtigsten wissenschaftlichen Erfolgen des Jahres 2012. "Dieser Fortschritt zeigt das Potenzial von Röntgenlasern für die Entschlüsselung von Proteinen, die an konventionellen Röntgenquellen nicht untersucht werden können", heißt es in einer Pressemitteilung des Journals vom Donnerstag. Vergangenen Monat hatte ein deutsch-amerikanisches Team in "Science" die Struktur einer inaktiven Form eines Enzyms vorgestellt, das für den Erreger der Schlafkrankheit, Trypanosoma brucei, lebenswichtig und damit ein lohnendes Ziel für neue Medikamente ist (Pressemitteilung).
"Dies ist die erste neue biologische Struktur, die an einem Freie-Elektronen-Laser entschlüsselt wurde", betonte DESY-Forscher Prof. Henry Chapman vom Hamburger Center for Free-Electron Laser Science (CFEL), der das internationale Team zusammen mit Prof. Christian Betzel von der Universität Hamburg und Dr. Lars Redecke von der gemeinsamen Nachwuchsgruppe "Strukturelle Infektionsbiologie unter Anwendung neuer Strahlungsquellen (SIAS)" der Universitäten Hamburg und Lübeck geleitet hatte. Die Forscher hatten für ihre Untersuchungen den weltstärksten Röntgenlaser, die Linac Coherent Light Source (LCLS) am US-Beschleunigerzentrum SLAC benutzt, um winzige Mikrokristalle des schwer kristallisierbaren Enzyms zu untersuchen.
Freie-Elektronen-Röntgenlaser (XFEL) wie die LCLS oder DESYs FLASH sind relativ neue wissenschaftliche Werkzeuge. Sie nutzen starke Teilchenbeschleuniger, mit denen Elektronen fast bis auf Lichtgeschwindigkeit gebracht werden. Anschließend durchlaufen die schnellen elektrisch geladenen Elementarteilchen einen engen Slalomkurs, auf dem sie in jeder Kurve Röntgenblitze abgeben. Diese Blitze vereinen sich zu einem intensiven Röntgenlaserpuls, mit dem ganz neue Untersuchungen möglich werden. Mit ihrem intensiven Licht, dass Milliarden Mal heller leuchtet als jede andere Röntgenquelle, sprengen diese Instrumente die Grenzen der konventionellen Röntgenkristallographie. DESY ist Hauptgesellschafter des Europäischen Röntgenlasers European XFEL, der zurzeit zwischen Hamburg und Schenefeld in Schleswig-Holstein gebaut wird.
"Während das volle Potenzial der Freie-Elektronen-Laser erst noch ausgelotet werden muss, zeichnet sich ihr Wert bereits ab", erläuterte Chapman. "Die Vermeidung von Strahlungsschäden an der Probe, die Anwendung bei Zimmertemperatur und die Möglichkeit, mikroskopische Kristalle zu untersuchen, wird enorme Auswirkungen auf die Strukturbiologie haben."
"Die Arbeit an einem der ersten biologischen Experimente mit diesen neuen Röntgenstrahlungsquellen sowie die anspruchsvolle Proben-Einspeisung und die komplexe Datenauswertung waren eine Herausforderung für jeden im Team", betonte Karol Nass, Doktorand von Chapman und einer der beiden Erstautoren der Studie, die im November in "Science" erschienen war. "Die Technik hat jedoch große Chancen, sich zu einem nutzerfreundlichen Verfahren zu entwickeln."
Die gegenwärtigen Einschränkungen der neuen Methode sind bedingt durch die bislang meist wenig effiziente Ausnutzung der Proben - die meisten Mikrokristalle verrinnen derzeit ungenutzt - sowie durch die nur begrenzt verfügbaren Untersuchungsplätze. "Das sind jedoch beides lösbare technische Probleme, und der European XFEL wird mit seinen geplanten 27 000 Blitzen pro Sekunde beide Fragen bereits weitreichend lösen", meint Chapman. "Langfristig wird es meiner Meinung nach spezialisierte Einrichtungen für Strukturuntersuchungen geben." Damit wird sich der Wissenschaft die Möglichkeit eröffnen, detailliert die Dynamik und die Wechselwirkung von Proteinen zu untersuchen.
"Insbesondere die Kombination der Freie-Elektronen-Laser-Technik mit der ebenfalls neuen Methode, Proteinkristalle in lebenden Zellen zu züchten, bietet spannende Aussichten, Proteinstrukturen zu entschlüsseln, insbesondere wenn wir den Mechanismus der In-vivo-Kristallisation künftig besser verstehen", sagte Redecke, der andere Erstautor der Studie. "Dies wird die Untersuchung von Proteinen ermöglichen, die der konventionellen Kristallographie bislang nicht zugänglich sind, beispielsweise Membranproteine, die besonders interessante Ansatzpunkte für Medikamente sind", ergänzte Betzel.
Die Röntgenlaser-Untersuchung der Schlafkrankheit ist für "Science" eines der wissenschaftlichen Top Ten des Jahres 2012. Als Durchbruch des Jahres kürte das US-Journal die Entdeckung eines Higgs-artigen Teilchens am Large Hadron Collider (LHC), an der DESY-Forscher ebenfalls maßgeblich beteiligt waren.