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04.04.2013
Eiskalt erwischt
Schockgefrieren unter Hochdruck glückt erstmals bei einem Viruskristall
Mit modernen Röntgenlichtquellen wie PETRA III lässt sich die atomare Struktur von sehr großen Proteinmolekülen oder sogar ganzen Viren bestimmen. Allerdings führt dieses starke Röntgenlicht auch dazu, dass biologische und organische Moleküle innerhalb sehr kurzer Zeit durch Strahlenschäden zerstört werden. Die Lebensdauer der Proben im Röntgenstrahl lässt sich entscheidend verlängern, indem man sie auf tiefe Temperaturen kühlt. Für die Untersuchung müssen die Proben allerdings in Form kleiner Kristalle vorliegen. Bisher war das Abkühlen dieser Kristalle, wie zum Beispiel kristallisierter Viren, oft nicht möglich. Einem internationalen Forscherteam mit DESY-Beteiligung ist es nun gelungen, auch Proben von sehr großen Molekülkomplexen durch Schockgefrieren unter hohem Druck auf minus 196 Grad Celsius abzukühlen und damit ihre Lebensdauer im Röntgenstrahl erheblich zu verlängern.
Röntgenuntersuchungen von Viren und anderen biologischen Makromolekülen stellen eine besondere Herausforderung dar. Zum einen ist es sehr schwierig und zeitaufwendig, von diesen Molekülen überhaupt Kristalle zu erhalten, und zum anderen sind die Kristalle meistens sehr empfindlich und so weich, dass man sie mit einem Messer zerdrücken kann.
Ein großes Problem beim Abkühlen der Kristalle auf minus 196 Grad stellt der hohe Wassergehalt dar. Das Wasser gefriert beim Abkühlen und wird zu Eis. Hierbei dehnt es sich in den Kristallen aus und zerstört sie, ähnlich wie eine Wasserflasche im Gefrierschrank platzt. Bisher wurden die Kristalle zum Abkühlen mit einem Frostschutzmittel behandelt, um die Eisbildung zu verhindern. Wie beim Kühlwasser im Auto kann zum Beispiel Glyzerin die Bildung von Eiskristallen unterdrücken und damit ein Zerspringen des Kristalls verhindern. Die Suche nach dem jeweils passenden Kühlmittel kann jedoch große Mengen der kostbaren Kristalle verschlingen. Außerdem ist keineswegs gesagt, dass für jede Probe der passende Zusatz gefunden wird. Gerade bei vergleichsweise großen Strukturen wie Viren ist dieser Ansatz nicht selten erfolglos. Etwa beim sogenannten Bovinen Enterovirus 2 (BEV2) ist das Ergebnis wenig zufriedenstellend. So wurde das BEV2, das weltweit bei Rindern vorkommt und bei den Tieren zu Fehlgeburten führen kann, bisher bei Raumtemperatur vermessen. Dabei musste man in Kauf nehmen, dass die Kristalle innerhalb von wenigen Zehntelsekunden durch den Röntgenstrahl zerstört wurden.
Ein internationales Team aus Wissenschaftlern von DESY, der Diamond Light Source in Großbritannien, dem Hamburger Heinrich-Pette-Institut sowie der Universität Oxford hat jetzt erfolgreich eine Methode angewendet, die ursprünglich aus der Elektronenmikroskopie stammt. Auch hier will man verhindern, dass biologische Proben beim Abkühlen durch die Bildung von Eiskristallen ihre eigentliche Gestalt verlieren. Das bewältigt man durch sehr schnelles Gefrieren der Probe, während die Moleküle einem extrem hohen Druck ausgesetzt sind.
Mit dem BEV2 ist dies jetzt zum ersten Mal bei einem riesigen Virus geglückt, wie das Team um die DESY-Forscher Anja Burkhardt und Alke Meents im Fachjournal „Acta Crystallographica Section D“ berichtet. Bei Drücken von mehr als 2000 bar wird die Probe mit flüssigem Stickstoff schlagartig auf minus 196 Grad heruntergekühlt. Das Team arbeitet mit einer Technik, bei der Kühlraten von 7000 Grad pro Sekunde erreicht werden. So dauert der Kühlprozess nur eine dreißigstel Sekunde.
Ein Vergleich der Messung mit der einer ungekühlten Testprobe macht den Erfolg sichtbar: Der gekühlte Viruskristall hält zwölf Sekunden einem Röntgenstrahl stand, mehr als hundert Mal länger als bei der herkömmlichen Messung bei Raumtemperatur. Durch das erfolgreiche Schockgefrieren lässt sich die Struktur nun durch Messung eines einzigen Kristalls bestimmen. Bisher waren dafür etwa dreißig größere Kristalle nötig.
Originalarbeit: Structure determination from a single high-pressure-frozen virus crystal“; Anja Burkhardt et al.; Acta Crystallo- graphica Section D: Biological Crystallography (2013, D69 308-312); DOI: 10.1107/S090744491204543X