Solarzellen-Verschleiß erstmals live im Blick

Röntgenuntersuchung zeigt Strukturveränderungen in „Plastiksolarzellen“

Schematische Darstellung der Struktur der aktiven Schicht der Polymer-Solarzelle. Die orangen Bereiche repräsentieren die aktiven Domänen, an denen Licht in Ladungsträger umgewandelt wird. Illustration: TU München (bitte als Urheber angeben)

Hamburg, 9. Dezember 2013. Forscher der Technischen Universität München haben mit Hilfe von DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III erstmals live dem Verschleißen organischer Solarzellen zugesehen. Die Untersuchung könnte neue Ansatzpunkte liefern, um der vielversprechenden Solarzellenart eine größere Stabilität zu verleihen. Das Team um Prof. Peter Müller-Buschbaum stellt seine Beobachtungen im aktuellen Heft des Fachjournals "Advanced Materials" (Nr. 46, 10. Dezember) vor.

Sogenannte organische Solarzellen, insbesondere auf Polymerbasis, sind nicht nur kostengünstig und großflächig herstellbar, sondern erschließen dank ihrer Biegsamkeit auch Anwendungsgebiete, die bisweilen für die Photovoltaik unzugänglich sind. Außerdem können sie eine für Solarzellen große Effizienz (Wirkungsgrad) von mittlerweile mehr als zehn Prozent bei der Umwandlung von Licht in Strom erreichen und damit einen wichtigen Anteil zur Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen liefern. Allerdings besitzen sie eine kürzere Lebensdauer als herkömmliche Siliziumzellen, und ihre Effizienz lässt noch schnell nach.

An der Messstation P03 bei DESYs Röntgenquelle PETRA III haben die Wissenschaftler den Verschleiß organischer Solarzellen nun erstmals live im Betrieb beobachtet. Dazu beleuchteten sie eine Polymer-Solarzelle mit einem Solarsimulator, der Licht mit dem Spektrum und der Intensität der Sonneneinstrahlung erzeugt, und zeichneten die elektrischen Eigenschaften der Zelle auf. Im Abstand von einigen Minuten bis zu einer Stunde durchleuchteten die Forscher die Zelle zudem mit dem scharf fokussierten Röntgenstrahl von PETRA III. Während der siebenstündigen Untersuchung sank die Effizienz der Solarzelle um rund ein Viertel. Parallel dazu konnten die Forscher mit dem Röntgenlicht Veränderungen an der inneren Struktur der aktiven Schicht beobachten, die das Herzstück organischer Solarzellen darstellt.

Der elektrische Strom wird darin an so genannten aktiven Domänen erzeugt, wo Licht absorbiert wird und elektrische Ladungsträger freigesetzt werden. Diese Domänen besaßen zu Beginn der Messung einen mittleren Durchmesser von knapp 70 Nanometern (millionstel Millimetern), der während der Untersuchung um etwa 17 Prozent auf rund 80 Nanometer anwuchs. Gleichzeitig stieg auch der mittlere Abstand der aktiven Domänen um 19 Prozent von 310 auf 370 Nanometer an, wie die Röntgenmessungen zeigten.

"Dies legt nahe, dass während des Betriebs kleine Domänen zugunsten größerer unwiederbringlich verschwinden", erläutert Erstautor Christoph Schaffer, Doktorand aus der Arbeitsgruppe von Müller-Buschbaum. "Zwar wachsen die Domänen dadurch, jedoch entfernen sie sich auch voneinander, wodurch sich unter dem Strich ihre Gesamtfläche verringert. Insgesamt lässt sich dadurch exakt der beobachtete Rückgang des Stromertrages erklären.“

„Die Untersuchung erklärt erstmals den Verschleißmechanismus, das ist ein erster Schritt“, erläutert Koautor Dr. Stephan Roth, verantwortlicher DESY-Wissenschaftler für die Messstation P03. „Der nächste Schritt ist, dass man versucht, das Wachstum etwa durch den Zusatz geeigneter Substanzen gezielt zu hemmen oder zu steuern. So ist es beispielsweise denkbar, die innere Struktur von Polymer-Solarzellen bei der Produktion so zu gestalten, dass sich die aktiven Bereiche während der ersten Betriebsstunden gerade in eine optimale Struktur entwickeln, statt aus ihr herauszuwachsen“, erklärt Müller-Buschbaum. „Solche Maßnahmen können genau bewirken, dass industriell produzierte Zellen schließlich auch bei längerem Betrieb über der für Polymer-Solarzellen wirtschaftlich entscheidenden Effizienzschwelle liegen", betont Roth.


Das Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY ist das führende deutsche Beschleunigerzentrum und eines der führenden weltweit. DESY ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und wird zu 90 Prozent vom BMBF und zu 10 Prozent von den Ländern Hamburg und Brandenburg finanziert. An seinen Standorten in Hamburg und Zeuthen bei Berlin entwickelt, baut und betreibt DESY große Teilchenbeschleuniger und erforscht damit die Struktur der Materie. Die Kombination von Forschung mit Photonen und Teilchenphysik bei DESY ist einmalig in Europa.



Originalveröffentlichung
“A Direct Evidence of Morphological Degradation on a Nanometer Scale in Polymer Solar Cells”; Christoph J. Schaffer, Claudia M. Palumbiny, Martin A. Niedermeier, Christian Jendrzejewski, Gonzalo Santoro, Stephan V. Roth, Peter Müller-Buschbaum; Advanced Materials, Vol. 25, Nr. 46, S. 6760-6764, 10. Dezember 2013; DOI: 10.1002/adma.201302854


Wissenschaftliche Ansprechpartner
Prof. Peter Müller-Buschbaum, TU München, +49 89 289-12451, muellerb@ph.tum.de
Dr. Stephan Roth, DESY, +49 40 8998-2934, stephan.roth@desy.de

Pressekontakt
DESY-Pressesprecher Thomas Zoufal, +49 8998-1666, presse@desy.de

Bilder


Struktur der aktiven Schicht der Solarzelle zu Beginn der Untersuchung. Die blau-gelben Bereiche repräsentieren die aktiven Domänen, an denen Licht in Ladungsträger umgewandelt wird. Der rote Bereich trägt nicht zur Stromerzeugung bei. Illustration: TU München (bitte als Urheber angeben)

Struktur der aktiven Schicht der Solarzelle nach einer Stunde Betrieb. Die Kantenlänge entspricht 2,5 Mikrometern (tausendstel Millimetern). Illustration: TU München (bitte als Urheber angeben)

Struktur der aktiven Schicht der Solarzelle nach sieben Stunden Betrieb. Die aktive Fläche der blau-gelben Domänen ist insgesamt deutlich gesunken, viele kleinere Domänen sind verschwunden. Illustration: TU München (bitte als Urheber angeben)

Schematische Darstellung. Illustration: TU München (bitte als Urheber angeben)

Schematische Darstellung. Illustration: TU München (bitte als Urheber angeben)

Schematische Darstellung. Illustration: TU München (bitte als Urheber angeben)

Die untersuchte Solarzelle hat eine Kantenlänge von zehn Millimetern. Foto: TU München (bitte als Urheber angeben)

Schematische Darstellung des Versuchsaufbaus. Die Solarzelle (Mitte) wird mit einem Solarsimulator (unten) beleuchtet, gleichzeitig werden die elektrischen Eigenschaften im Verlauf der Untersuchung aufgezeichnet. Der Röntgenstrahl (rot) erzeugt im Detektor (rechts) ein charakteristisches Streubild, aus dem sich die Struktur der aktiven Schicht bestimmen lässt. Illustration: TU München (bitte als Urheber angeben)