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02.02.2011
Neue Welt: erste Röntgenlaser-Bilder von Proteinen und Viren
LCLS-Experimente zeigen das Forschungspotenzial von Freie-Elektronen-Röntgenlasern
Es ist ein Forschertraum seit mehr als einem Jahrzehnt: biologische Strukturen mit Hilfe von extrem intensiven Röntgenblitzen hochauflösend abbilden zu können. Nach Berechnungen sollte es möglich sein, mit Röntgenblitzen exakte Messungen vom molekularen Aufbau biologischer Strukturen zu machen, beispielsweise von Proben, die so winzig sind, dass sie mit konventionellen Methoden nicht untersucht werden können. Mit bisherigen Verfahren werden die Proben zerstört, bevor ihre Struktur ermittelt ist. Die neu entwickelten Freie-Elektronen-Laser hingegen produzieren ultrakurze Lichtblitze, die milliardenfach heller sind als herkömmliche Lichtquellen. Mit diesen Blitzen lassen sich Bilder aufnehmen, noch bevor der Zerstörungseffekt eintritt.
Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Prof. Henry Chapman vom Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) bei DESY in Hamburg hat jetzt am Freie-Elektronen-Laser LCLS (Linac Coherent Light Source) in Stanford (USA) an Proteinen und Viren nachgewiesen, dass dieses Verfahren funktioniert. Die Ergebnisse, in zwei Beiträgen in der aktuellen Ausgabe des Magazins Nature veröffentlicht, sind ein erster und entscheidender Schritt, um molekulare Strukturen von Proteinen sichtbar zu machen und die Struktur von Viren ohne aufwändige Kristallisation zu bestimmen. Mit einzelnen Viren oder Protein-Nanokristallen, die sogar für ein Lichtmikroskop zu klein sind, lassen sich Strukturanalysen optimieren und der langwierige Kristallisationsprozess ersparen, der bisher für die Strukturbestimmung notwendig ist.
„Diese Ergebnisse sind der Höhepunkt langjähriger Arbeit, die hier bei DESY mit Experimenten an FLASH, dem Freie-Elektronen Laser in Hamburg, ihren Anfang nahmen“, so Prof. Henry Chapman. „Obwohl unsere aus einzelnen Nanokristallen erzielten Röntgenstrukturen exakt den in den Lehrbüchern gemachten Voraussagen entsprachen, waren wir überrascht und begeistert, wie gut die Experimente funktionierten. Dies war nur möglich mit einem interdisziplinären Forscherteam aus Physikern, Biologen und Experten im Bereich Optik, Plasmen und Detektoren.“
Die 3D-Strukturen von Proteinen und Viren werden üblicherweise mit Hilfe der so genannten Röntgenkristallographie aufgezeichnet. Dabei trifft ein Röntgenstrahl auf den Kristall, und es entsteht eine Anordnung von Punkten, das so genannte Röntgenbeugungsmuster. Während der Kristall im Röntgenstrahl gedreht wird, gibt die gemessene Intensität dieser Punkte ein dreidimensionales Abbild der Probe. Allerdings werden die Testobjekte bei der Untersuchung von der intensiven ionisierenden Strahlung zerstört. Deshalb sind große und aufwändig herzustellende Kristalle notwendig, um deutliche Beugungsmuster zu erzielen, bevor die Zerstörung einsetzt. Dieses Verfahren scheitert oft daran, dass eine einwandfreie Kristallisation von vielen Biomolekülen nicht möglich ist. Der Freie-Elektronen-Laser LCLS produziert Röntgenblitze, die eine Milliarde Mal heller sind als die der zurzeit genutzten Synchrotronstrahlungsquellen. Ein einzelner Blitz ist so intensiv, dass jede Probe in dem Strahl zu einem Plasma verdampft, das heißer als die Sonne ist. Die Zerstörung erfolgt aber erst, nachdem der ultrakurze Röntgenblitz das Objekt durchquert hat. In nur 100 Femtosekunden (Billiardstel Sekunden) erzeugt der Röntgenblitz sein Bild, bevor die Moleküle zerplatzen. Das Röntgenbeugungsmuster vermittelt somit die Information über das unzerstörte Objekt. Die Blitze sind so intensiv, dass die Beugungsmuster winziger Nanokristalle oder sogar einzelner Viruspartikel intensiv genug für die Auswertung sind.
„Diese Experimente sind ein Durchbruch auf unserem Weg zur Röntgenbeugung von Einzelobjekten“, so Prof. Helmut Dosch, Vorsitzender des DESY-Direktoriums. „Wir schauen in die Welt von morgen, in der wir Aufnahmen von nicht-kristallinem Material mit Röntgenlasern in den Griff bekommen werden.“
Die in Nature veröffentlichten Studien präsentieren das Konzept „diffraction before destruction“ in spektakulärer Weise. Jeder Röntgenblitz ergibt ein einzelnes Bild von dem Objekt. Zur Erzeugung einer 3D-Abbildung werden viele Schnappschüsse von zufällig ausgerichteten identischen Objekten genutzt. Die Experimente nutzten die so genannte CAMP-Probenkammer und das pnCCD-Detektorsystem, das von der Max-Planck Advanced Study Group am CFEL, einem Zusammenschluss von acht Max-Planck-Instituten, entworfen und gebaut wurde. Die Zielobjekte werden in einem Aerosolstrahl (entwickelt an LLNL, Stanford PULSE Institute und der Universität Uppsala) oder in einem gasfokussierten Flüssigkeitsstrahl (entwickelt von der Arizona State University) dem Röntgenstrahl ausgesetzt. Mit diesem Versuchsaufbau erzeugten die Wissenschaftler 1800 einzelne Beugungsmuster pro Minute. Vor jedem Röntgenblitz – 30 pro Sekunde – wurde ein neues Teilchen eingefügt, um das vorher verdampfte zu ersetzen. Die Hochgeschwindigkeits-Röntgendetektoren erfassten und digitalisierten mehrere Tage lang Millionen von Beugungsmustern. Das ergab mehrere Terabyte an Daten – die Datenrate lag höher als die der Teilchenphysikexperimente am Large Hadron Collider (LHC). Die Daten wurden an Computer-Clustern bei DESY und SLAC analysiert. Hierzu wurden mit parallelen Programmen die 3D Beugungsmuster bestimmt, die aus Zehntausenden der besten Beugungsmuster zusammengesetzt sind. Dieses Muster entsprach dann dem eines einzelnen perfekten Kristalls.
In ihren Experimenten machten die Forscher Aufnahmen von dem so genannten Photosystem-I-Protein-Komplex und dem Mimivirus. Photosystem-I ist eine entscheidende Komponente zur Umwandlung des Sonnenlichts in Energie mittels Photosynthese. Die Photosystem-I-Nanokristalle waren eine ideale Probe für die proof-of-principle-Experimente. Die Kristalle mit einer Größe von 100 Nanometern bis 2 Mikrometern wurden von Prof. Petra Fromme von der Arizona State University produziert. Sie gehören zu den membrangebundenen Proteinen, die extrem empfindlich und schwer in kristalline Form zu bringen sind. Trotz ihrer wichtigen biologischen Funktion konnte man bis heute weniger als 300 membrangebundene Proteinstrukturen ermitteln (im Vergleich zu mehr als Zehntausenden von löslichen Proteinen). Die Struktur des Photosystem-I-Komplexes wurde vor kurzem mit Hilfe von großen Kristallen ermittelt. Allerdings benötigte man 13 Jahre, um die Kristallisationsbedingungen zu erkennen. Dies ermöglichte jetzt einen quantitativen Vergleich, der die Genauigkeit der FEL-Methode unter Nutzung der wesentlich einfacher herzustellenden Nanokristalle unter Beweis stellte. Es zeigte sich, dass ein Beugungsbild vor der Zerstörung mit solch extrem empfindlichen Objekten realisierbar ist.
Letztendlich wird mit der neuen Technik angestrebt, Beugungsmuster von einzelnen Molekülen aufzuzeichnen, ohne dass eine Kristallisation notwendig ist. Für dieses Ziel bedarf es noch weiterer Entwicklungen, um die Röntgenblitze auf noch kleinere Punkte zu fokussieren, um ihre Intensität zu vergrößern.
Zusätzlich gelang dem Forscherteam ein weiteres proof-of-principle-Experiment zur Abbildung einzelner Exemplare des Mimivirus, dem größten bekannten Virus, der Amöben befällt. Das Experiment zeigt, dass Kristallisation komplett vermieden werden kann. Tausende Beugungsmuster von einzelnen Viren wurden aufgezeichnet und ihre einzelnen Bilder rekonstruiert. Diese neue Art der Bildgebung macht ein Einfrieren, Zerschneiden oder chemische Markierung der Struktur überflüssig, sie könnte sich sogar für ganze lebende Zellen eignen.