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18.10.2012
Röntgenblick enthüllt überraschendes Verhalten von Supraleitern
Keramische Supraleiter verhalten sich anders als erwartet. Das zeigt eine detaillierte Röntgenuntersuchung mit der DESY-Röntgenlichtquelle DORIS. Ein internationales Forscherteam beobachtete in dem Material unerwartete strukturelle Verzerrungen bei sehr tiefen Temperaturen. Diese Verzerrungen, sogenannte Ladungsdichte-Wellen, haben großen Einfluss auf die Supraleitung, also auf den verlustfreien Transport von elektrischem Strom. Die Wissenschaftler um Johan Chang von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) und dem Paul-Scherrer-Institut in der Schweiz stellen ihre Untersuchung in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals „Nature Physics“ vor. Die Analyse trägt zu einem besseren Verständnis der Hochtemperatur-Supraleiter bei, deren Funktionsweise auch mehr als 25 Jahre nach ihrer Entdeckung noch in vielen Teilen rätselhaft ist.
Supraleiter sind Materialien, die unterhalb einer charakteristischen Temperatur jeden elektrischen Widerstand verlieren und Strom dann verlustfrei leiten. Diese Technik ist für zahlreiche stromintensive Anwendungen in Industrie und Forschung interessant – so wird beispielsweise der weltgrößte Teilchenbeschleuniger LHC bei Genf mit supraleitenden Magnetspulen betrieben.
Allerdings müssen klassische Supraleiter auf wenige Grad über dem absoluten Nullpunkt (minus 273,15 Grad Celsius) gekühlt werden. Das geht nur mit dem Edelgas Helium und ist aufwendig und teuer. Sogenannte Hochtemperatur-Supraleiter, spezielle keramische Verbindungen, leiten Strom dagegen oft schon oberhalb der Temperatur von flüssigem Stickstoff (minus 196 Grad) verlustfrei. Sie können dann mit verflüssigter Luft gekühlt werden, was erheblich billiger und einfacher ist.
Die Entdeckung der keramischen Supraleiter wurde 1987 mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet. Was jedoch genau in den Materialien vor sich geht, ist bis heute nicht vollständig geklärt. Je genauer Forscher diese Stoffe verstehen, desto besser können sie jedoch deren Eigenschaften maßschneidern. Möglicherweise lässt sich auf diese Weise einmal ein supraleitendes Material finden, das bereits bei Zimmertemperatur verlustfrei Strom transportiert.
Mit Messungen an der Synchrotron-Strahlungsquelle DORIS bei DESY konnte die Gruppe um Chang nun beobachten, wie ein keramischer Supraleiter aus der weit verbreiteten YBCO-Gruppe (benannt nach den Elementen Yttrium, Barium, Kupfer und Sauerstoff, aus denen er besteht) in den widerstandfreien Zustand übergeht. Mit abnehmender Temperatur ordneten sich die normalerweise gleichverteilten Elektronen in dem Material in periodischen Mustern an. Auch die Gitter-Ionen des Kristalls verschoben sich entsprechend – es entstand eine wellenförmige Ladungsdichte, die bei sehr tiefen Temperaturen energetisch günstiger sein kann als die gleichmäßige Ladungsverteilung.
„Es war überraschend eine Ladungsdichte-Welle in einem Material mit einer so hohen Sprungtemperatur wie YBCO zu sehen, da dieses Phänomen eher von Nicht-Supraleitern bekannt ist“, erläutert DESY-Wissenschaftler Martin von Zimmermann aus dem Forscherteam. Die Ladungsdichte-Wellen beeinflussen die Supraleitung in dem Material, seine charakteristische Sprungtemperatur für den Übergang in den widerstandsfreien Zustand sinkt. Wird die Supraleitung mit einem Magnetfeld unterdrückt, verstärken sich die Ladungsdichte-Wellen. Das konnten die Forscher mit Hilfe eines Magneten beobachten, der über 300 000 Mal stärker ist als das Erdmagnetfeld und eigens von Forschern der Universität Birmingham aus dem Team entwickelt worden war. Die Wissenschaftler konnten außerdem die Verzerrung des Kristallgitters schon bei deutlich höheren Temperaturen als in vorangegangenen Magnetresonanz-Untersuchungen nachweisen. Diese Diskrepanz der beiden Untersuchungen muss in zukünftigen Messungen geklärt werden.
Die Ladungsdichte-Wellen und die Supraleitung stellen zwei konkurrierende Konfigurationen des Materials dar, schließen die Wissenschaftler. „Mit dem Magnetfeld konnten wir das konkurrierende Verhalten von Ladungsdichte-Welle und Supraleitung wunderbar zeigen“, erläutert von Zimmermann. „Bei hohen Feldstärken ist die Ladungsdichte-Welle groß und die Supraleitung klein, bei kleinem Feld genau umgekehrt.“
Weitere Analysen sollen diese Konkurrenz nun genauer untersuchen und klären, wie das Wechselspiel der beiden Konfigurationen abläuft. Auf diesem Wissen aufbauend lassen sich möglicherweise einmal bessere Supraleiter konstruieren.
An der Studie waren außer Forschern vom PSI, von DESY und der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne Wissenschaftler der Universitäten Bristol und Birmingham, der Dänischen Technischen Universität, der Universität von British Columbia (Kanada) und vom Canadian Institute for Advanced Research beteiligt.
Originalveröffentlichung:
Direct observation of competition between superconductivity and charge density wave order in YBa2Cu3O6.67; Johan Chang et al.; Nature Physics (2012, online vorab); DOI: 10.1038/NPHYS2456