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11.02.2013
Leben unter Druck
DORIS untersucht Wechselwirkung von Proteinen unter Tiefseebedingungen
Wie werden Lebewesen in der Tiefsee mit dem enormen Wasserdruck fertig? Mit dieser Frage hat sich ein Forscherteam der Technischen Universität Dortmund an DESYs Röntgenquelle DORIS III beschäftigt. Demnach hängt die Wechselwirkung von Proteinen unter Druck eng mit der Stabilität individueller Proteine zusammen, wie die Untersuchung des Enzyms Lysozym im Röntgenlicht gezeigt hat. Die Studie des Teams um Martin Schroer, der heute bei DESY arbeitet, ist im Fachjournal „Angewandte Chemie“ (International Edition) veröffentlicht und eines der Highlights im gerade erschienenen Jahresbericht 2012 des DESY-Bereichs Forschung mit Photonen.
Das Leben in der Tiefsee muss extreme und feindliche Umweltbedingungen meistern. In den Tiefen der Meere gibt es kein Sonnenlicht, kaum Sauerstoff und eisige Temperaturen. Der Wasserdruck ist bis zu tausendmal höher als der Luftdruck an der Meeresoberfläche. Proteine (Eiweißmoleküle) reagieren sehr empfindlich auf extreme Temperaturen und hohen Druck. So können sie allein durch Strukturveränderungen unter hohem Druck ihre biologische Funktion verlieren.
Tiefseeorganismen begegnen dieser äußeren Belastung, indem sie in der Zelle die Konzentrationen sogenannter Osmolyte erhöhen, die den osmotischen Druck in der Zelle verändern. Ein solcher Osmolyt ist etwa Harnstoff, der zum Beispiel in Knorpelfischen wie Haien und Rochen in hohen Konzentrationen vorkommt. Harnstoff, der als Abfallprodukt in vielen Organismen entsteht, hat jedoch die unglückliche Eigenschaft, die dreidimensionale Proteinstruktur zu destabilisieren und damit lebenswichtige Funktionen zu beeinträchtigen. Viele Tiefseetiere wie Knorpelfische, Krebse und Weichtiere nutzen daher einen weiteren Osmolyten, das Trimethylaminoxid (TMAO), das der destabilisierenden Wirkung von Harnstoff gegensteuert. TMAO erfüllt seine Doppelfunktion als Proteinstabilisator und Druckkompensator am besten bei einem Mischungsverhältnis von Harnstoff zu TMAO von 2:1.
Über die zugrundeliegenden Mechanismen, die Zellen vor Druck schützen, ist noch wenig bekannt. Zellen – Grundbausteine allen Lebens – enthalten eine reichhaltige Mixtur intrazellulärer Stoffe, darunter eine Vielzahl von Proteinen. Daher spielen Wechselwirkung zwischen Proteinen wahrscheinlich eine wichtige Rolle bei der Reaktion der Zelle auf Druck. „In unserer Studie haben wir die in einer Zelle herrschende Dichte durch hochkonzentrierte Eiweißlösungen simuliert“, erklärt Schroer. „Wir haben dann Osmolyte in einer Konzentration hinzugefügt, wie sie in Tiefseelebewesen vorkommt. Anschließend haben wir untersucht, in welcher Weise die Wechselwirkung der Proteine in der Lösung vom Druck abhängt.“
An der DORIS-III-Strahlführung BW4 variierten die Forscher den Druck in den Proteinlösungen zwischen 1 bar, dem Luftdruck auf Meereshöhe, und 4000 bar, das entspricht dem vierfachen Wasserdruck an der tiefsten Stelle der Ozeane, dem Marianengraben. Während des Druckanstiegs durchleuchteten die Forscher die Probe mit dem intensiven DORIS-Röntgenstrahl mit Hilfe der Kleinwinkel-Röntgenstreuung SAXS (Small-Angle X-ray Scattering). „Mit SAXS können wir sowohl die Struktur eines Proteins bestimmen, als auch die Stärke der Wechselwirkung zwischen den Proteinen in der Lösung“, erläutert Schroer.
In einer vorangegangenen SAXS-Studie hatten Schroer und seine Kollegen bereits gezeigt, dass Veränderungen der Wechselwirkung von Proteinen unter Druck von Änderungen der Struktur des Wassers abhängen, das die Proteine umgibt. „Als wir Proteine in einem Puffer ohne Osmolyte untersucht haben, stellten wir fest, dass die Wechselwirkungsstärke kontinuierlich abnahm, während wir den Druck auf etwa 2000 bar erhöhten“, sagt Schroer. „Dieser Verlauf war zu erwarten, da der steigende Druck die Proteinlösung komprimiert. Da Proteine elektrisch geladen sind, erhöht die Verdichtung die gegenseitige Abstoßung. Bei einem Druck von mehr als 2000 bar stieg die Wechselwirkungsstärke allerdings wieder an. Dies führen wir auf den Zusammenbruch der die Proteine umgebenden zweiten Wasserhülle zurück.“ Wassermoleküle legen sich in mehreren kugelförmigen Schichten um die Proteine. Unter hohem Druck wird die zweite gegen die erste das Protein umgebende Schicht gedrückt. Das führt zu einer wirksamen Abschirmung der Proteinladungen und damit zur Reduzierung der Abstoßung zwischen den Proteinen.
Wie beeinflussen jedoch Osmolyte die Wechselwirkung zwischen Proteinen und welche Auswirkungen haben sie auf die Wasserstruktur? Diese Fragen haben die Forscher in der aktuellen Studie behandelt. „Beim Hinzufügen von Harnstoff beobachteten wir die gleichen druckabhängigen Änderungen der Wechselwirkungsstärke zwischen den Proteinen wie in der Lösung ohne Osmolyte. Harnstoff hat keinen wesentlichen Einfluss auf die Wasserstruktur“, sagt Schroer. „TMAO dagegen verändert die Druckabhängigkeit und damit die Wasserstruktur.“ Durch Hinzufügung von TMAO wird der Zusammenbruch der zweiten Wasserschicht weitgehend verhindert. „TMAO härtet die Wasserstruktur“, erklärt Schroer. „Es schiebt die zweite Wasserhülle der Proteine ein wenig nach außen, gegen den von außen wirkenden Druck. TMAO wirkt somit gegen den Zusammenbruch.“ Ein ähnlicher Stabilisierungsmechanismus könnte auch in den Zellen der Tiefseelebewesen stattfinden.
Um in der Untersuchung besser die Bedingungen von Tiefseelebewesen abzubilden, analysierten die Forscher die Druckabhängigkeit der Protein-Wechselwirkung auch in Lösungen mit einem Harnstoff-TMAO-Gemisch im Verhältnis 2:1. Dabei zeigte sich, dass der proteindestabilisierende Harnstoff alleine die gegenseitige Anziehung der Proteine verminderte, wohingegen das proteinstabilisierende TMAO sie verstärkte. In der Osmolyt-Mischung war die Druckabhängigkeit vergleichbar mit der Proteinlösung ganz ohne Osmolyte. Offensichtlich kompensiert TMAO den Einfluss von Harnstoff auf die Wechselwirkung zwischen Proteinen, so wie es auch die destabilisierende Wirkung von Harnstoff auf individuelle Eiweißmoleküle ausgleicht. „Eine Mischung aus Harnstoff und TMAO, so wie sie auch in der Natur vorkommt, hat Auswirkungen auf die Wechselwirkung zwischen Proteinen unter Druck, in ähnlicher Weise, wie die Mixtur auf die Stabilität der Proteine wirkt“, erklärt Schroer.
Diese Ergebnisse können dazu beitragen, die Schutzmechanismen von Tiefseelebewesen gegen den enormen Druck besser zu verstehen. Sie deuten darauf hin, dass bestimmte Osmolyte in der Lage sind, Protein-Wechselwirkungen und die Stabilität von Proteinen in der Zelle zu beeinflussen.
Originalstudie: Exploring the Piezophilic Behavior of Natural Cosolvent Mixtures; Martin A. Schroer et al.; "Angewandte Chemie International Edition"; DOI: 10.1002/anie.201104380