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22.02.2013
Masernvirus manipuliert Immunrezeptor
Röntgenstrahlen decken virales Versteckspiel auf
Forscher der Ludwig-Maximilians-Universität und des Exzellenzclusters „Center for Integrated Protein Sciences“ in München haben aufgeklärt, wie Paramyxoviren, zu denen beispielsweise das Masernvirus gehört, das angeborene Immunsystem eines Organismus zu überlisten versuchen. Ein wichtiger Bestandteil des Immunsystems sind Rezeptormoleküle, die eine Vielzahl von Viren aufspüren können. Paramyxoviren setzen dem ein sogenanntes V-Protein entgegen, das den Immunrezeptor MDA5 bindet und somit die zelluläre Immunantwort stört. „Unsere Arbeit liefert einen detaillierten Einblick in die Mechanismen, mit denen virale Proteine Wirtsproteine hemmen“, sagt Professor Karl-Peter Hopfner in einer Mitteilung der Ludwig-Maximilians-Universität. „Dies eröffnet möglicherweise auch neue Chancen für therapeutische Eingriffe.“
Das Forscherteam erlangte wichtige strukturelle Kenntnisse über die Bindung des V-Proteins an MDA5, indem es Röntgenexperimente an der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF, Grenoble, Frankreich) und an DESYs Lichtquelle DORIS durchführte. Die Wissenschaftler berichten ihre Ergebnisse im Fachblatt "Science".
Das antivirale Immunsystem schützt den Organismus vor Krankheiten, indem es virale Moleküle erkennt und eine Immunreaktion in Gang setzt. Das Immunrezeptorprotein MDA5, ein Vertreter der Familie der sogenannten „RIG-I-artigen Rezeptoren“, erkennt virale RNA, das Erbgut des Eindringlings, indem sich mehrere MDA5-Moleküle zu fadenförmigen Filamenten entlang der RNA zusammenlagern. Forscher vermuten, dass diese Filamentstruktur das antivirale Signal innerhalb der Zelle auslöst. Viren haben dagegen allerdings gewisse Überlebensstrategien entwickelt, die ihnen ein Versteckspiel mit dem Immunsystem ermöglichen. „Masernviren etwa produzieren ein sogenanntes V-Protein, das als viraler Inhibitor spezifisch an die RIG-I-artigen Rezeptoren MDA5 und LGP2 bindet und dadurch die Erkennung infizierter Zellen verringert. RIG-I selbst wird allerdings nicht gehemmt“, sagt Hopfner. Glücklicherweise gibt es in der Zelle noch weitere Abwehrmechanismen, die die Virulenz des Virus einschränken.
Um die Hemmung von MDA5 im Detail zu verstehen, sind strukturelle Kenntnisse der Wechselwirkung zwischen dem V- und dem MDA5-Protein entscheidend. „Wir konnten zum ersten Mal einen Komplex aus V-Protein und MDA5 kristallisieren und seine Struktur detailliert aufklären“, sagt Hopfner. Mittels Röntgenstrukturanalyse an der ESRF fanden die Wissenschaftler heraus, dass das V-Protein mit einer haarnadelförmigen Struktur das MDA5-Protein teilweise entfaltet und an einer Stelle von MDA5 bindet, die normalerweise im Inneren des Eiweißmoleküls verborgen ist. Die Entfaltung von MDA5 stört die Ausbildung der Filamentstruktur an der RNA und somit das antivirale Signal innerhalb der Zelle.
Um die Protein-Protein-Wechselwirkungen zwischen MDA5 und dem V-Protein kristallografisch zu untersuchen, verwendeten die Wissenschaftler verkürzte Proteinkonstrukte. „Unsere Struktur stellt den evolutionär erhaltenen, notwendigen und hinreichenden Kern des MDA5:V-Proteinkomplexes dar“, schreiben die Forscher in ihrem Artikel. Proteindomänen, die in der Kristallstruktur nicht vorhanden sind, werden allerdings eine Rolle für die Flexibilität des Gesamtkomplexes aus Eiweißmolekülen voller Länge spielen. Aus einem Vergleich von MDA5:V mit einem weiteren V-proteinhaltigen Komplex sowie aus Mutationsstudien des vollständigen V-Proteins schlussfolgerten die Forscher, dass nicht nur MDA5 bei der Ausbildung des MDA5:V-Komplexes seine Konformation ändert, sondern auch das V-Protein selbst. In Abwesenheit von MDA5 ist die Haarnadelstruktur des V-Proteins an eine andere Domäne des Eiweißmoleküls gebunden. In Anwesenheit von MDA5 hingegen entfaltet sich die Haarnadel und bindet an MDA5, welches dadurch ebenfalls entfaltet wird.
Um dieses Modell weitergehend zu überprüfen, führten die Wissenschaftler Röntgenkleinwinkelstreuexperimente (SAXS, Small-Angle X-ray Scattering) am DORIS-Messplatz X33 des Europäischen Labors für Molekularbiologie (EMBL) durch. Während die Röntgenstrukturanalyse hochaufgelöste Strukturmodelle von Proteinkristallen liefert, können Forscher mit der SAXS-Technik die Form und Wechselwirkung von Proteinen in Lösungen bestimmen. Die Auflösung ist dabei allerdings geringer als bei der Kristallografie. „Wir verwenden routinemäßig SAXS, um unsere kristallografischen Arbeiten zu komplementieren“, erklärt Hopfner. „Unsere Kristallstruktur stellt nur einen Ausschnitt des MDA5:V-Komplexes dar. SAXS-Messungen der kompletten Proteine haben unser Modell bestätigt, und wir konnten Einblicke in die Struktur und Flexibilität des Gesamtkomplexes gewinnen.“
Mit ihrer Studie haben die Wissenschaftler auch geklärt, warum das V-Protein spezifisch an MDA5 (und LGP2) bindet, nicht aber an den verwandten antiviralen RNA-Sensor RIG-I. „Die sehr kleine Haarnadelstruktur des V-Proteins wechselwirkt mit MDA5 über zwei charakteristische, sequenzspezifische Kontakte“, sagt Hopfner. Mit anderen Worten, bis auf zwei spezielle Aminosäurepaare hängen die meisten Kontakte zwischen der Haarnadel und MDA5 nicht von den Aminosäuresequenzen der Proteinhauptketten ab. „Der Austausch von nur zwei Aminosäuren in RIG-I, das normalerweise nicht an das V-Protein bindet, erlaubt uns, eine stabile Bindung herzustellen.“
Die Forschungsergebnisse könnten auch von biomedizinischer Bedeutung sein. Mit den nunmehr verfügbaren Strukturinformationen können Wissenschaftler versuchen, die Wechselwirkung zwischen den V- und MDA5-Proteinen zu unterbinden und somit die Virulenz des Virus zu verringern.
Originalveröffentlichung
"Paramyxovirus V Proteins Disrupt the Fold of the RNA Sensor MDA5 to Inhibit Antiviral Signaling"; Carina Motz, Kerstin Monika Schuhmann, Axel Kirchhofer, Manuela Moldt, Gregor Witte, Karl-Klaus Conzelmann, Karl-Peter Hopfner; "Science", 2013; DOI: 10.1126/science.1230949.
Mitteilung der Ludwig-Maximilians-Universität München: Haarnadel überlistes Immunsystem.