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Kurz vor der Betriebsunterbrechung neue Erfolge
Zum ersten Mal nach dem Umbau von HERA alle drei Spin-Rotatorpaare in Betrieb mit stabilem Polarisationsgrad von 50%. Spitzen-Luminosität bei HERA II. Beginn einer 18-wöchigen Betriebsunterbrechung von HERA II. Erfolgreiche Beendigung der ersten Datennahme für neues Physikprogramm des Experiments HERA-B.
Wichtiges Etappenziel von HERA II erreicht: alle drei Spin-Rotatoren funktionieren auf Anhieb
In der vergangenen Woche gelang es der HERA-Crew, alle drei Spin-Rotatorpaare, von denen zwei erst in dem großen Umbau der Beschleunigeranlage eingebaut worden waren, nach einer ganz kurzen Optimierungsphase gleichzeitig in Betrieb zu nehmen und sehr schnell einen Polarisationsgrad der Positronen von etwa 50% zu erzielen. Bei diesem Prozess wurden die Spins, das heißt die Drehachsen der Teilchen des in HERA II gespeicherten Positronenstrahls, vor den Wechselwirkungszonen von HERMES, H1 und ZEUS in die Flugrichtung und auf der anderen Detektorseite wieder zurück geklappt - mehrere Stunden lang, jeweils 47000-mal in der Sekunde. Auch die beiden Polarimeter, die während des großen HERA-Umbaus ausgebaut und verbessert wurden, funktionierten auf Anhieb. Im Norden (H1) und Süden (ZEUS) konnten sogar bei eingeschalteten Detektormagneten Positronen mit Protonen zur Kollision gebracht werden - das ist nicht nur bei HERA das erste Mal, sondern auch weltweit. Alle vier HERA-Experimente konnten mit den drei eingeschalteten Rotatorpaaren Ereignisse messen. Nach der zurzeit laufenden Betriebsunterbrechung wird sich für die beiden Kollisionsexperimente und auch für HERMES, das den polarisierten Strahl auf ein Gas-Target lenkt, durch die Polarisation ein aufregendes neues Experimentierprogramm eröffnen. Der Einsatz von polarisierten Elektronen- oder Positronenstrahlen bei den Kollisionsexperimenten H1 und ZEUS war eins der beiden Hauptziele für den Ausbau von HERA.
HERA II auf dem Weg zur vierfachen "Trefferrate": Spitzenwert für Luminosität erreicht
Das andere Hauptziel von HERA II ist, dass die beiden Kollisionsexperimente künftig die vierfache Menge an Daten nehmen können, um auch ganz seltene Prozesse untersuchen zu können. Dazu wurden Beschleuniger und Detektoren vor allem im Bereich der Wechselwirkungszonen umgestaltet und mit neuen Komponenten versehen. Um die Luminosität - sie ist ein Maß für die Kollisionsrate und wird pro Flächen- und Zeiteinheit gemessen - um einen Faktor vier zu erhöhen, müssen die Querschnitte des Positronen- oder Elektronenstrahls und des Protonenstrahls vor dem Zusammenstoß auf ein Drittel ihrer ursprünglichen Fläche verkleinert werden, das heißt von einem hundertstel auf winzige drei tausendstel Quadratmillimeter. Dass dieses ehrgeizige Ziel auch wirklich erreicht wurde, zeigte sich kurz vor der jetzigen Betriebsunterbrechung: In Maschinenstudien erzielte die HERA-Crew einen Spitzenwert der Luminosität von 2,7 mal 1031 cm-2s-1 - ein Wert der deutlich über der maximalen Luminosität liegt, die von HERA I erreicht wurde. Und es ist nun sicher, dass bei vollständiger Anzahl der in HERA II gespeicherten Teilchenpakete und dem geplanten Teilchenstrom die angestrebte vierfache "Trefferrate" von HERA I erreicht werden kann. - In den vergangenen Wochen der Inbetriebnahmephase wurde die Effizienz von HERA II dann noch deutlich gesteigert, und die beiden Kollisionsexperimente konnten bei stabilen Strahlbedingungen und niedrigen Strahlströmen Daten nehmen.
HERA II geht in eine 18-wöchige Betriebsunterbrechung zur Reduzierung der Untergrundrate
Obwohl jetzt gezeigt wurde, dass die HERA-Anlage nach ihrem aufwendigen Umbau die geplanten Werte erreichen kann, gab es unvorhersehbare gravierende technische Probleme, die dazu führen, dass HERA II für die Experimente noch nicht mit den Design-Werten betrieben werden kann. Deshalb wurde am 3. März der Betrieb von HERA II unterbrochen mit dem Ziel, danach die angestrebte vierfache Kollisionsrate zu erreichen. In diesem 18-wöchigen Shutdown sollen technische Arbeiten am Vakuumsystem von HERA II sowie an einigen Komponenten der Detektoren H1 und ZEUS ausgeführt werden.
Nach der aufwendigen Neugestaltung der Wechselwirkungszonen zeigte sich die Wiederinbetriebnahme im Jahr 2001 wesentlich schwieriger als erwartet. Für die Experimente HERMES und HERA-B, die jeweils nur einen der beiden Teilchenstrahlen von HERA nutzen, ließen sich zwar bald gute Strahlbedingungen herstellen. Beide Experimente konnten mit der regulären Datennahme jedoch nur eingeschränkt beginnen, da bei den Kollisionsexperimenten H1 und ZEUS unvorhersehbar hohe Untergrundsignale auftraten, die die Datennahme nahezu unmöglich machten. Anhand systematischer Tests konnte die HERA-Crew in enger Zusammenarbeit mit den Teams der Experimente die Ursachen für die Untergrundprobleme inzwischen ermitteln und Gegenmaßnahmen planen, die jetzt umgesetzt werden.
HERA-B beendet erfolgreich erste Datennahme für neues Physikprogramm
Das Experiment HERA-B hatte in 2001 seinen Betrieb an HERA II mit einem neuen Physikprogramm aufgenommen und kann jetzt auf eine erfolgreiche Messperiode zurückblicken. Sowohl die erforderlichen Detektorkomponenten als auch das elektronische Datennahmesystem funktionierten einwandfrei. Aus mehreren Millionen Ereignissen, die bei den hochenergetischen Protonenstößen erzeugt wurden, konnten 350.000 mit der gewünschten Charakteristik herausgefiltert werden. Es handelt sich um J/Psi-Resonanzen, die aus einem charm-Quark und seinem Antiteilchen bestehen. Die HERA-B-Physiker konzentrieren sich nun auf die Auswertung dieser Daten. Im Mittelpunkt stehen dabei Fragen rund um die starke Kraft, zum Beispiel wie Teilchen aus charm-Quarks im Inneren von Atomkernen produziert werden und wie sie mit dieser Kernmaterie wechselwirken, wobei HERA-B in Bereiche vorstoßen kann, die bisher keinem anderen Experiment zugänglich waren. Eine der zentralen Fragen der Teilchenphysik ist die Untersuchung des Ungleichgewichts von Materie und Antimaterie im Universum. Warum besteht das Universum im Wesentlichen aus Materie, obwohl im Urknall Materie und Antimaterie zu gleichen Teilen erzeugt wurden? Diese so genannte CP-Verletzung konnte bis vor zwei Jahren nur im System der K-Mesonen untersucht werden - einer leichteren Teilchensorte. Es fehlte die Bestätigung der CP-Verletzung im System der schwereren B-Mesonen. Diese Prozesse treten äußerst selten auf, so dass zu ihrer Untersuchung extrem hohe Datenmengen erzeugt und und von den Experimenten verarbeitet werden müssen. Die Teilchenphysikzentren KEK in Japan und SLAC in USA beschlossen Anfang der 1990er, dafür spezielle Elektron-Positron-Speicherringe (so genannte B-Fabriken) mit je einem Detektor zu bauen. Bei DESY entschied man sich für die Nutzung des Protonenstrahls, der in dem vorhandenen HERA-Ring gespeichert wird, und den Bau des Detektors HERA-B - eine technische Herausforderung, denn im Gegensatz zu den Elektron-Positron-Detektoren gab es für HERA-B kein einziges Vorbild, sondern es mussten völlig neue Nachweismethoden entwickelt und erprobt werden. Hier geht es besonders um Detektorkomponenten mit bisher nicht erreichter Strahlungsbeständigkeit und um das elektronische Datennahmesystem, das in einer Sekunde so viele Signale bewältigen muss, wie der gesamte Informationsfluss der Deutschen Telekom. Im Jahr 2000 stand dann fest, dass die Experimente an den beiden B-Meson-"Fabriken" schneller zum Ziel führen, so dass die HERA-B-Gruppe dazu überging, mit ihrem Detektor andere physikalische Fragestellungen zu untersuchen. Die geleisteten Entwicklungen sind allerdings Pionierarbeit für zukünftige Experimente dieser Art, bei denen ähnlich harte Bedingungen herrschen, wie zum Beispiel beim Large Hadron Collider LHC, dem bei CERN im Bau befindlichen Proton-Proton-Beschleuniger. Viele Mitglieder der HERA-B-Gruppe sind deshalb inzwischen als begehrte Spezialisten auf diesem Gebiet zu anderen Beschleunigerzentren gewechselt. Ein Teil der Gruppe hat sich für das neue Physikprogramm an HERA II entschieden und beginnt jetzt mit der Auswertung der ersten Daten. Mehr zu HERA und den HERA-Experimenten: