DESY News: Analyse enthüllt neue Kristallstruktur in „Gummimetall“

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01.02.2017
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Analyse enthüllt neue Kristallstruktur in „Gummimetall“

Erstmals beobachteter Phasenübergang in Titanlegierung könnte Entwicklung neuer Werkstoffe ermöglichen

Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Eisenforschung (MPIE) in Düsseldorf haben bei DESY einen neuen Phasenübergang in einer Titanlegierung beobachtet. Der entdeckte Mechanismus könnte dazu beitragen, überraschende Eigenschaften bestimmter Legierungen besser zu verstehen und neue Werkstoffe zu entwickeln. Das Team um Hauptautor Jian Zhang vom MPIE stellt seine Ergebnisse im Fachblatt „Nature Communications“ vor.

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Rasterelektronenmikroskop-Aufnahme der verschiedenen Phasen in der untersuchten 'gummiartigen' Titanlegierung. Bild: Jian Zhang, MPIE
Die Forscher untersuchten mit DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III die innere Struktur einer speziellen Legierung aus den (Übergangs-)Metallen Titan, Niob, Tantal und Zirconium. Diese Titanlegierung weist besondere mechanische Eigenschaften auf und wird nicht ohne Grund auch als „gum metal“ bezeichnet – also übersetzt als Gummimetall. Denn bei mechanischen Belastungen zeigt diese Legierung ein interessantes Verhalten: „Bei Verformung wird sie nicht, wie sonst bei Metallen üblich, härter oder bricht, sondern verbiegt sich fast schon honigartig. Wissenschaftlich ausgedrückt hat sie eine sehr niedrige elastische Steifigkeit und eine hohe plastische Formbarkeit“, erklärt Dierk Raabe, Direktor am MPIE und Ko-Autor der Untersuchung.

Das macht die Legierung attraktiv für verschiedene industrielle Anwendungen. In der Luftfahrt beispielsweise kann sie als eine Art Crashabsorber verwendet werden. „Wenn eine Flugzeugturbine durch Hagel- oder Vogelschlag beschädigt wird, besteht die Gefahr, dass einzelne Bauteile zersplittern und in der Folge auch den Flugzeugrumpf beschädigen könnten. Wenn Teile der Schutzhülle einer Turbine beispielsweise aus einem solchen ,gum metal‘ bestehen würden, könnten sie umherfliegende Splitter abfangen, da sie durch die Belastung nicht zerstört werden, sondern sich nur verformen“, sagt Raabe.

Wieso genau diese Legierung so stark verformbar ist, ist noch nicht ganz klar. Verschiedene Untersuchungen haben Besonderheiten in der Nanostruktur gezeigt, konnten aber noch keinen direkten Zusammenhang mit den Eigenschaften finden. Titanlegierungen kommen normalerweise in zwei verschiedenen Phasen vor. Phase meint hier die Kristallstruktur, in der die Atome angeordnet sind. Bei Raumtemperatur sind die Atome meist in der sogenannten Alpha-Phase angeordnet, bei hohen Temperaturen in der Beta-Phase. Je nach Phase zeigen die Metalle unterschiedliche Eigenschaften. Die Gummimetalle bestehen vor allem aus der Beta-Phase, die in diesen Legierungen auch bei Raumtemperatur stabil ist.

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Schematische Darstellung der Titanlegierung. Zu sehen ist die Kristallstruktur der verschiedenen Phasen während der Wärmebehandlung. Bild: Jian Zhang, MPIE
Die Forscher des MPIE haben nun einen neuen Mechanismus beim Phasenübergang entdeckt. Das Team um Jian Zhang hat eine neue Struktur beobachtet, die bei der Transformation von Beta- zu Alpha-Phase entsteht: die Omega-Phase. An DESYs Lichtquelle PETRA III konnten die Wissenschaftler die Kristallstruktur der Legierung während des Übergangs genau untersuchen. „Wenn man eine Probe mit Röntgenstrahlung beschießt, wird die Strahlung durch das Kristallgitter abgelenkt. Dadurch ergibt sich ein bestimmtes Muster, ein sogenanntes Diffraktogramm, aus dem wir dann ableiten können, wie die Atome positioniert sind, also welche Kristallstruktur sie einnehmen“, erklärt DESY-Forscherin Ann-Christin Dippel, Ko-Autorin der Studie, die die Untersuchungen an der Messstation P02.1 wissenschaftlich und technisch betreut hat.

Wenn die Beta-Phase von einer hohen Temperatur schnell abgekühlt wird, ändert ein Teil der Atome die Position und geht in die energetisch günstigere Alpha-Phase über. Durch die Bewegung der Atome entsteht eine mechanische Spannung an der Phasengrenze, die verschiedenen Phasen zerren sozusagen aneinander. Wenn diese Spannung einen kritischen Wert übersteigt, entsteht eine neue Anordnung, genannt Omega-Phase.

„Diese neu entdeckte Struktur entsteht nur durch die Scherspannung, die beim Phasenübergang aufgebaut wird, und erleichtert die Umwandlung von Alpha- zu Beta-Phase. Sie kann nur zwischen zwei anderen Phasen bestehen, da sie durch diese stabilisiert wird“, berichtet Raabe. Wenn die Spannung durch die neue Schicht wieder unter den kritischen Wert fällt, entsteht aufs Neue eine Schicht Alpha-Phase, an die sich dann wieder eine Omega-Phase anschließt. So entsteht eine Mikrostruktur aus vielen, zum Teil atomar schmalen Schichten mit jeweils anderer Struktur. Der Übergang findet auch bei statischen Belastungen statt und ist vollständig umkehrbar. Die Forscher hoffen jetzt, dass die neu entdeckte Struktur dabei helfen könnte, die Eigenschaften des Werkstoffs noch genauer zu verstehen und später neue, verbesserte Varianten der Titanlegierung zu entwickeln.

An der Arbeit waren auch die Xi'an-Jiaotong-Universität in China sowie das Massachusetts Institute of Technology in den USA beteiligt.

 

Originalarbeit:
Complexion-mediated martensitic phase transformation in Titanium; J. Zhang, C.C. Tasan, M.J. Lai, A-C. Dippel, D. Raabe; „Nature Communications“ (2017); DOI: 10.1038/ncomms14210