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DESY News: DESY-Röntgenquelle findet vielversprechende Kandidaten für Coronamedikamente
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DESY-Röntgenquelle findet vielversprechende Kandidaten für Coronamedikamente
Die Strahlführung P11 von DESYs Forschungslichtquelle PETRA III ist auf strukturbiologische Untersuchungen spezialisiert. Hier lässt sich die dreidimensionale räumliche Struktur von Proteinen atomgenau darstellen. Das nutzte das Forschungsteam um DESY-Physiker Alke Meents, um mehrere tausend bekannte Wirkstoffe aus einer Bibliothek des Fraunhofer-Instituts für Translationale Medizin und Pharmakologie und einer weiteren der italienischen Firma Dompé Farmaceutici SpA darauf zu untersuchen, ob und wie sie an die Hauptprotease „andocken“ – der erste wichtige Schritt, um sie zu blockieren. Wie der Schlüssel in ein Schloss passt dabei das Wirkstoffmolekül in ein Bindungszentrum der Protease. Der Vorteil der Wirkstoffbibliothek: Es handelt sich um bereits für die Behandlung von Menschen zugelassene Wirkstoffe oder solche, die sich zurzeit in verschiedenen Erprobungsphasen befinden. Geeignete Kandidaten zur Bekämpfung von SARS-CoV-2 könnten daher erheblich schneller in klinischen Studien eingesetzt werden und so Monate oder Jahre der Wirkstoffentwicklung sparen.
Die technische Spezialausrüstung an der PETRA III-Station P11 beinhaltet einen vollautomatischen Probenwechsel mit einem Roboterarm, so dass jede der über 7000 Messungen nur etwa drei Minuten dauerte. Mit Hilfe einer automatisierten Datenanalyse konnte das Team schnell die Spreu vom Weizen trennen. „Mit Hilfe eines Hochdurchsatzverfahrens haben wir insgesamt 37 Wirkstoffe finden können, die eine Bindung mit der Hauptprotease eingehen“, sagt Meents, der die Experimente initiierte.In einem nächsten Schritt untersuchten die Forscherinnen und Forscher am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, ob diese Wirkstoffe in Zellkulturen die Virusvermehrung hemmen oder gar verhindern, und wie verträglich sie für die Wirtszellen sind. Hierbei reduzierte sich die Zahl der geeigneten Wirkstoffe auf sieben, von denen zwei besonders hervorstachen. „Die Wirkstoffe Calpeptin und Pelitinib zeigten die deutlich höchste Antiviralität bei guter Zellverträglichkeit. Unsere Kooperationspartner haben daher bereits präklinische Untersuchungen mit diesen beiden Wirkstoffen begonnen“, erklärt DESY-Forscher Sebastian Günther, Erstautor der „Science“-Veröffentlichung.
In ihrem Wirkstoffscreening mit Hilfe der Proteinkristallographie untersuchten die Forschenden nicht wie üblich Fragmente potenzieller Wirkstoffe, sondern vollständige Wirkstoffmoleküle. Dabei entdeckte das Team aus mehr als 100 Wissenschaftlerinnnen und Wissenschaftlern aber auch etwas komplett Unerwartetes: Es fand eine Bindungsstelle an der Hauptprotease, die bis dahin noch völlig unbekannt war. „Es war nicht nur eine positive Überraschung, dass wir eine neue Bindestelle für Medikamente an der Hauptprotease entdecken konnten – ein Ergebnis, das man wirklich nur an einer Synchrotronlichtquelle wie PETRA III erzielen kann –, sondern dass sogar einer der beiden heißen Wirkstoffkandidaten genau an diese Stelle bindet“, sagt Christian Betzel vom Exzellenzcluster CUI der Universität Hamburg, Mitinitiator der Studie.„Eine besondere Stärke unserer Methode des Röntgenscreenings im Vergleich zu anderen Screeningmethoden ist, dass wir als Ergebnis die dreidimensionale Struktur der Protein-Wirkstoff-Komplexe erhalten und damit die Bindung der Wirkstoffe an das Protein auf atomarer Ebene bestimmen können. Selbst wenn die beiden aussichtsreichsten Kandidaten es nicht in klinische Studien schaffen sollten, so bilden die 37 Stoffe, die an die Hauptprotease binden, eine wertvolle Datenbasis für darauf aufbauende Medikametenentwicklungen,“ erläutert Patrick Reinke, DESY-Forscher und Koautor der Veröffentlichung.
„Die Untersuchungen an PETRA III zeigen eindrucksvoll, wie relevant hochbrillante Synchrotronlichtquellen für die Entwicklung zukünftiger Medikamente und die Gesundheitsforschung insgesamt sind“, unterstreicht Helmut Dosch, Vorsitzender des DESY-Direktoriums. „Wir müssen und wollen unsere Infrastrukturen künftig noch stärker zur Bewältigung von derartigen Gesundheitskrisen ausbauen.“An den Arbeiten sind neben DESY-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftlern auch Forscherinnen und Forscher der Universitäten Hamburg und Lübeck, des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin, des Fraunhofer-Instituts für Translationale Medizin und Pharmakologie, des Heinrich-Pette-Instituts, des European XFEL, des Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie EMBL, der Max-Planck-Gesellschaft, des Helmholtz-Zentrums Berlin und weiteren Institutionen beteiligt. Zusätzlich zu den Experimenten an der Messstation P11 wurden auch Messungen an den EMBL-Messstationen P13 und P14 an PETRA III durchgeführt.
Originalveröffentlichung:
X-ray screening identifies active site and allosteric inhibitors of SARS-CoV-2 main protease; Sebastian Günther, Patrick Y. A. Reinke, et al.; „Science“, 2021; DOI: 10.1126/science.abf7945