DESY News: W-Boson auf der Teilchenwaage

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17.09.2024
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W-Boson auf der Teilchenwaage

CMS-Experiment am CERN liefert mit neuer DESY-geführter Methode die genaueste Messung der Masse des W-Bosons

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen genau wissen, wie viel Masse das W-Boson hat. Mit diesem Wissen können sie überprüfen, ob ihre theoretischen Vorhersagen zutreffen, und Abweichungen von diesen Vorhersagen schnell und zuverlässig erkennen. Das CMS-Experiment am CERN hat nun die bisher genaueste Messung  der Masse des W-Bosons vorgelegt. An dieser anspruchsvollen Analyse haben experimentelle und theoretische Teilchenphysiker:innen bei DESY in enger Zusammenarbeit maßgeblich mitgewirkt. 

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So sieht eine Kollision mit W-Boson im CMS-Detektor aus: das W-Boson zerfällt in ein Myon (rote Linie) und ein Neutrino, das dem Nachweis entgeht (rosa Pfeil). (Bild: CMS/CERN)
Die CMS-Kollaboration, ein großer Zusammenschluss von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der ganzen Welt, hat heute die Ergebnisse über ihre erste Massen-Messung des W-Bosons aus  Proton-Proton-Kollisionsdaten aus der zweiten Laufzeit des Large Hadron Collider, dem weltgrößten Teilchenbeschleuniger am CERN in Genf,  vorgestellt. Das W-Boson ist ein Elementarteilchen, das zusammen mit dem Z-Boson die schwache Kraft überträgt. Die schwache Kraft ist für eine Form der Radioaktivität verantwortlich und löst die Kernfusionsreaktion aus, die die Sonne zum Leuchten bringt.

Das heute präsentierte Ergebnis ist die bisher präziseste Messung der W-Masse, die am LHC durchgeführt wurde, und stimmt mit den Vorhersagen des Standardmodells der Teilchenphysik überein. Möglich wurde das Ergebnis durch eine Kombination aus experimentellen und theoretischen Faktoren, darunter die bisher präziseste Rekonstruktion der Myonen im CMS-Detektor und ein neuer theoretischer Ansatz, der bei DESY entwickelt wurde. 

Im Standardmodell der Teilchenphysik, der Theorie, die alle Teilchen und die zwischen ihnen wirkenden Kräfte mit höchstmöglicher Präzision beschreibt, steht die W-Masse in engem Zusammenhang mit der Stärke der Wechselwirkung, die die elektromagnetische und die schwache Kraft vereint. Außerdem sind die Massen des Higgs-Bosons und des Top-Quarks eng damit verbunden. Die Messung der Masse des W-Bosons mit hoher Präzision macht es daher möglich zu prüfen, ob diese Eigenschaften mit dem Standardmodell übereinstimmen oder nicht. Ist dies nicht der Fall, könnte die Ursache in neuen physikalischen Phänomenen wie neuen Teilchen oder unbekannten Wechselwirkungen liegen. 

Das W-Boson wurde im Jahr 1983 am CERN entdeckt, allerdings war es schon immer eine besondere Herausforderung, seine Masse zu messen. Seit seiner Entdeckung haben mehrere Collider-Experimente am CERN und anderswo immer präzisere Massenmessungen durchgeführt. Das CMS-Experiment hat nun mit seiner ersten solchen Messung einen wichtigen Beitrag zu diesen globalen Bemühungen geleistet. Das Ergebnis, 80360,2 MeV mit einer Unsicherheit von 9,9 MeV, hat eine Genauigkeit, die mit der einer Messung des CDF-Experiments am Fermilab in den USA vergleichbar ist, und stimmt mit allen früheren Messungen außer dem CDF-Ergebnis überein.

„Diese Analyse ist der erste Versuch, die W-Masse unter den anspruchsvollen Kollisionsbedingungen der zweiten LHC-Laufzeit zu messen. Die harte Arbeit des Teams hat zu einer äußerst präzisen Messung der W-Masse und der genauesten Messung am LHC geführt“, sagt CMS-Sprecherin Patricia McBride. „Dies ist eine der komplexesten Analysen, die ich bei CMS je gesehen habe“, fügt die DESY-Wissenschaftlerin Katerina Lipka, Leiterin der Helmholtz-W2/W3-Gruppe „Standard Model at Ultimate Precision“, hinzu. Simone Amoroso und Federico Vazzoler, Wissenschaftler in dieser Gruppe, waren für die Modellierung der Beziehung zwischen dem Impuls des W-Bosons und dem Myon, in das es zerfällt, verantwortlich. Dabei haben sie eng mit dem DESY-Theoretiker Frank Tackmann zusammengearbeitet. 

Die am LHC erzeugten W-Bosonen zerfallen fast sofort in ein Myon und ein Neutrino. Myonen werden vom CMS-Detektor nachgewiesen, aber die Neutrinos sind für den Detektor unsichtbar. Das macht diese Messung so kompliziert. Könnten sowohl Myonen als auch Neutrinos nachgewiesen werden, ließe sich die Masse des W-Bosons direkt aus der Energie und der Flugrichtung der Teilchen bestimmen, wie es beispielsweise beim Higgs-Boson der Fall ist. Um diese Herausforderung zu meistern, untersuchen die Forschenden den Impuls des Myons und leiten daraus den Wert der Masse des W-Bosons mit sehr hoher Genauigkeit ab. 

Die endgültige Genauigkeit der Messung hängt von zwei Faktoren ab: Erstens vom speziellen Hochleistungs-Algorithmus des CMS-Detektors zur Rekonstruktion der Kinematik des Myons. Wenn die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Kinematik der Myonen kennen, die aus den Zerfällen von W-Bosonen hervorgehen, können sie Rückschlüsse auf die Kinematik des W-Bosons ziehen, was wiederum mehr über dessen Masse aussagt.

Zweitens nutzten die Forschungsteams die neuesten und besten Erkenntnisse aus Theorie und experimentellen Techniken. Die Standardmethode zur Messung der W-Masse bestand bisher darin, extrem präzise Messungen des Z-Bosons als eine Art Kontrollkanal zu verwenden, um die Kinematik des W-Bosons genau vorherzusagen. Der Theoretiker Frank Tackmann und sein im Rahmen des ERC-Konsolidierungsprogramms gefördertes Team haben eine Methode entwickelt, die die CMS-Messung (und möglicherweise auch alle künftigen Messungen) unabhängig vom Z-Boson macht. „Das Problem war immer, das Z mit dem W genau in Beziehung zu setzen“, sagt Tackmann. Die neue Methode beruht auf der gleichzeitigen Anwendung von zehn verschiedenen Theorieparametern und liefert robuste und parametrisierte theoretische Unsicherheiten, die für die korrekte Interpretation der Daten entscheidend sind. „Die Durchführung dieser hochmodernen theoretischen Berechnungen und die Zusammenstellung aller Teile war eine große Aufgabe“, fügt Simone Amoroso hinzu.

„Dieses neue CMS-Ergebnis, das mit den Vorhersagen des Standardmodells punktgenau übereinstimmt, ist nicht nur ein weiterer Beweis für die Robustheit des Standardmodells“, sagt Tackmann. „Es erhöht auch unsere Gesamtempfindlichkeit für Physik, die möglicherweise jenseits des Standardmodells liegt.“

Mehr Information: Pressemeldung vom CERN und Hintergrundinformation vom CMS-Experiment (beide auf englisch)