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06.05.2015
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Forscher röntgen Schokolade

Studie zeigt Wege gegen den unerwünschten weißen Fettreif

Eine Röntgenuntersuchung bei DESY kann die Qualität von Schokolade verbessern. Die Studie liefert neue Einblicke in die Entstehung des unerwünschten Fettreifs, der sich gelegentlich als weiße Schicht auf der Schokolade ablagert. "Der Fettreif ist zwar völlig harmlos, führt aber durch Ausschuss und Reklamationen zu Millionenschäden in der Lebensmittelindustrie", erläutert die Hauptautorin der Studie, Svenja Reinke von der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH). "Trotzdem weiß man bisher relativ wenig über die Entstehungsprozesse." Das Team von TUHH, DESY und vom Lebensmittelkonzern Nestlé stellt seine Erkenntnisse im Fachjournal "Applied Materials and Interfaces" der American Chemical Society vor.

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Mit DESYs heller Röntgenquelle PETRA III konnten die Forscher die Wanderung von flüssigem Fett (gelb) durch die Schokolade erstmals live beobachten. Charakteristische Streubilder (rechts) liefern Informationen über nanometerkleine Strukturen. Bild: Svenja Reinke/TUHH
Fettreif kann sich bilden, wenn flüssiges Fett, beispielsweise aus der Kakaobutter, aus dem Inneren der Schokolade an die Oberfläche wandert und dort kristallisiert. "Das kann zum Beispiel geschehen, wenn flüssige Schokolade unkontrolliert abkühlt und sich instabile Kristallformen bilden. Aber auch bei Zimmertemperatur ist ein Viertel der Schokoladenfette bereits flüssig", erklärt Reinke. Flüssige Füllungen oder Anteile wie beispielsweise Nougat beschleunigen die Entstehung von Fettreif.

Je länger die Schokolade liegt, desto mehr Zeit hat das Fett, durch die Schokolade zu wandern. Daher werden die weiße Flecken oft als Zeichen für alte Schokolade empfunden. "Obgleich der Fettreif keinen Verderb des Produkts im eigentlichen Sinne darstellt, kann die damit einhergehende optische Beeinträchtigung zu einer großen Anzahl an Konsumentenbeschwerden führen", betont Prof. Stefan Palzer vom Lebensmittelkonzern Nestlé. "Fettreif ist daher nach wie vor einer der wichtigsten Qualitätsdefekte in der Süßwarenindustrie."

An DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III konnten die Forscher nun die zugrundeliegenden Prozesse erstmals live beobachten. Sie untersuchten dafür Proben der einzelnen Schokoladenbestandteile, also beispielsweise eine Mischung aus Zucker und Kakaobutter oder Milchpulver und Kakaobutter oder Kakao und Kakaobutter. Diese Proben wurden zu einem feinen Pulver gemahlen, um die Prozesse zu beschleunigen, und dann mit dem hellen Röntgenlicht durchleuchtet. "Die Untersuchungstechnik zeigt uns sowohl die Fettkristalle als auch die Poren bis hinunter zu einer Größe von einigen Nanometern", berichtet der Leiter der Untersuchung, Prof. Stefan Heinrich von der TUHH.

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Innere Struktur von Schokolade: Durch die Mischung aus Kakao (dunkelbraun), Milchpulver (hellbraun) und Zucker (weiß) kann flüssiges Fett (gelb) hindurchwandern. Bild: Svenja Reinke/TUHH
Um die Fettmigration zu untersuchen, tropften die Forscher jeweils etwas Sonnenblumenöl auf ihre Proben und beobachteten die Folgen. "Zum einen kommt es innerhalb von Sekunden zur Benetzung, das Öl dringt sehr schnell auch in die kleinsten Poren ein, wahrscheinlich durch Kapillarkräfte", berichtet Reinke über die Beobachtungen. Zum anderen ändert das flüssige Fett die innere Struktur der Schokolade. "Das flüssige Fett löst über einen Zeitraum von Stunden weitere Fettkristalle auf, wodurch die gesamte Struktur der Schokolade weicher wird. Das erhöht wiederum die Fettmigration."

Der genaue Ablauf dieser Prozesse war bisher noch nicht bekannt, die Studie ergänzt damit frühere Untersuchungen zur Kristallstruktur im Fettreif. "Zum ersten Mal konnten wir die dynamischen Mechanismen, die zur Bildung des Fettreifs führen, im Detail direkt verfolgen", erläutert DESY-Forscher Dr. Stephan Roth, Leiter der Messstation P03 an PETRA III, an der die Versuche stattfanden. "Die verwendete Methode, die Röntgenkleinwinkelstreuung, ist genau auf derartige Echtzeituntersuchen und auf die Beobachtung der Änderungen der Struktur durch das Öl angepasst. Die gemeinsame Studie liefert uns wertvolle Informationen, wie wir Strukturänderungen in derartigen ‚alltäglichen‘ Mehrkomponentensystemen untersuchen können."

Fettreif auf Schokolade unter dem Mikroskop. Bild: Svenja Reinke/TUHH
Die Beobachtungen liefern der Lebensmittelindustrie konkrete Ansatzmöglichkeiten, um den Fettreif zu reduzieren. "Eine Konsequenz wäre beispielsweise, die Porösität der Schokolade bei der Herstellung zu begrenzen, damit das Fett langsamer wandert", erläutert Reinke. "Eine weitere ist die Begrenzung des Flüssigkeitsanteils durch eine kühle, allerdings nicht zu kalte Lagerung. 18 Grad Celsius sind ideal." Schokolade reagiert sehr empfindlich auf Temperaturschwankungen. "Wenige Grade machen einen großen Unterschied", betont Reinke. "Bei 5 Grad ist im Prinzip die gesamte Kakaobutter fest, ab etwa 36 Grad ist hingegen alles flüssig." Darüber hinaus spielt die Kristallform in der Schokolade eine wichtige Rolle. "Kakaobutter kristallisiert in sechs verschiedenen Kristallformen", erläutert Reinke. "Der Flüssiganteil hängt auch von der Kristallform ab." Auch über eine Kontrolle der Kristallisation können Hersteller die Fettreifbildung beeinflussen.

"Die durchgeführten Untersuchungen erlauben es uns als Hersteller von Qualitätsschokolade erstmals Rückschlüsse auf die Ursachen der Migration von Kakaobutterfraktionen in Schokolade zu ziehen", betont Nestlé-Forschungsleiter Palzer. "Die mit modernster analytischer Technologie in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Hamburg Harburg und dem Team des Deutschen Elektronen-Synchrotrons gewonnenen Erkenntnisse bilden somit die Grundlage für die Entwicklung geeigneter Verfahren zum Vermeiden eines der wichtigsten Qualitätsdefekte in der Lebensmittelindustrie."

 

Originalarbeit: Tracking structural Changes in Lipid Based Multicomponent Food Materials due to Oil Migration by microfocus Small-Angle X-ray scattering; Svenja K. Reinke, Stephan V. Roth, Gonzalo Santoro, Josélio Vieira, Stefan Heinrich, Stefan Palzer; "ACS Applied Materials and Interfaces", 2015; DOI: 10.1021/acsami.5b02092