Forscher filmen Magnetspeicher in Superzeitlupe

DESY-Forschungslichtquelle PETRA III zeigt magnetische Mikrowirbel

Darstellung der Magnetfeldrichtung in der Speicherzelle. Bild: Philipp Wessels/Universität Hamburg

Hamburg, 25. November 2014. Forscher haben mit einer Superzeitlupe bei DESY einen magnetischen Datenspeicherkandidaten der Zukunft bei der Arbeit gefilmt. Der Film aus dem Röntgenmikroskop zeigt, wie sich magnetische Wirbel in ultraschnellen Speicherzellen ausbilden. Die Arbeit ermöglicht ein besseres Verständnis der Dynamik magnetischer Speichermaterialien, wie die Wissenschaftler um Dr. Philipp Wessels von der Universität Hamburg im Fachjournal "Physical Review B" berichten. Magnetspeicher sind in jeder Computer-Festplatte enthalten.

"Zum ersten Mal lässt sich mit unseren Aufnahmen in Echtzeit verfolgen, wie die Magnetisierung genau abläuft", betont Wessels aus der Gruppe von Prof. Markus Drescher am Hamburg Center for Ultrafast Imaging (CUI). "Damit lässt sich das Schalten dieser Magnetzellen erstmals im Detail beobachten." Die Forscher haben für ihre Untersuchung eine Speicherzelle bestehend aus einer Mischung (Legierung) aus Nickel und Eisen gewählt, die sich in weniger als einer milliardstel Sekunde magnetisieren lässt.

Mit einem eigens konstruierten Röntgenmikroskop, das zusammen mit der Gruppe von Prof. Thomas Wilhein von der Hochschule Koblenz entwickelt wurde, konnten die Wissenschaftler verfolgen, wie eine Speicherzelle gelöscht und neu beschrieben wird. Die extrem kurzen Röntgenblitze von DESYs Forschungslichtquelle PETRA III ermöglichten dabei eine Zeitauflösung von 0,2 milliardstel Sekunden (200 Pikosekunden). Die Magnetisierung lässt sich daran ablesen, wie stark einzelne Bereiche der Probe das polarisierte Röntgenlicht schlucken. Das Röntgenmikroskop kann dabei noch 60 millionstel Millimeter (60 Nanometer) kleine Details erkennen.

Für ihre Untersuchungen nutzten die Wissenschaftler winzige, quadratische Nickel-Eisen-Speicherzellen mit einer Kantenlänge von zwei tausendstel Millimetern (2 Mikrometer). Diese Speicherzellen formen in ihrem Inneren vier magnetische Bereiche aus, sogenannte Domänen, zwischen denen sich die Magnetisierung entweder mit oder gegen den Uhrzeigersinn ändert. Diese magnetischen Domänen sind dreieckig, und ihre Spitzen treffen sich in der Mitte der Speicherzelle. Auf diese Weise entsteht im Zentrum der Zelle ein magnetischer Wirbelkern.

Wird eine Speicherzelle durch ein äußeres Magnetfeld gelöscht, wandert der Magnetwirbelkern aus ihr heraus. "In unseren Untersuchungen ließ sich erstmals messen, mit welcher Geschwindigkeit die Wirbelkerne aus dem Material herausgedrückt werden", erläutert Ko-Autor Dr. Jens Viefhaus, verantwortlich für das Strahlrohr P04, an dem die Versuche stattfanden. Ein solcher Kern schießt demnach mit über 3600 Kilometern pro Stunde aus der Speicherzelle hinaus. "Dieser Vorgang lässt sich sehr gut reproduzieren, so dass wir die Geschwindigkeit zuverlässig bestimmen konnten", erläutert CUI-Forscher Privatdozent Dr. Guido Meier. "Möglich wurde diese Messung nur, weil wir sehr starke und stabile magnetische Anregungspuls verwenden konnten."

Das äußere Magnetfeld erzwingt in der gesamten Speicherzelle eine einheitliche Magnetisierung. Wird es abgeschaltet, bildet die Zelle erneut die vier magnetischen Domänen und einen zentralen Wirbel aus - je nach Richtung des äußeren Magnetfelds ist sie damit neu beschrieben worden. Dieser Vorgang ist jedoch komplex. "Der Vier-Domänen-Zustand entwickelt sich über ein kompliziertes Zickzackmuster, und die Entstehung dieses Zustandes konnten wir erstmals ‚live‘ beobachten", berichtet Wessels. Dieses Verhalten deckt sich mit Ergebnissen aus Simulationsrechnungen. Die Superzeitlupe erlaubt nun genauere Einblicke in diese schnelle Dynamik.

"Mit derselben Methode lässt sich die Dynamik beliebiger anderer Magnetmaterialien untersuchen", betont Wessels. "Unsere Experimenten können beitragen zu verstehen, wie schnell man Daten prinzipiell auf magnetische Speichermaterialien kodiert in Domänenform schreiben kann."

Diese Untersuchungen haben durchaus praktische Relevanz für die Speichertechnologie. "Zwar kommen heute in Laptops und anderen mobilen Geräten immer häufiger nichtmagnetische Speichermaterialien wie beispielsweise Flash-Speicher zum Einsatz, aber wenn es um große Datenmengen geht, sind magnetische Datenspeicher konkurrenzlos günstig", betont Wessels. "Der Trend geht zum Speichern in der Cloud, und die Cloud ist magnetisch." Ein besseres Verständnis der Magnetdynamik kann dabei zu schnelleren und leistungsfähigeren Speichermaterialien führen.

An der Arbeit waren die Universität Hamburg, die Hochschule Koblenz, das Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie sowie DESY beteiligt. Das mobile Röntgenmikroskop wurde von der Universität Hamburg und der Hochschule Koblenz entwickelt und vom Bundesforschungsministerium aus Mitteln für die Verbundforschung gefördert. Am Exzellenzcluster CUI sind die Universität Hamburg, DESY, das Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie, der europäische Röntgenlaser European XFEL und das Europäische Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) beteiligt.


Das Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY ist das führende deutsche Beschleunigerzentrum und eines der führenden weltweit. DESY ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und wird zu 90 Prozent vom BMBF und zu 10 Prozent von den Ländern Hamburg und Brandenburg finanziert. An seinen Standorten in Hamburg und Zeuthen bei Berlin entwickelt, baut und betreibt DESY große Teilchenbeschleuniger und erforscht damit die Struktur der Materie. Die Kombination von Forschung mit Photonen und Teilchenphysik bei DESY ist einmalig in Europa.


Originalveröffentlichung
“Time-resolved imaging of domain pattern destruction and recovery via nonequilibrium magnetization states"; Philipp Wessels, Johannes Ewald, Marek Wieland, Thomas Nisius, Andreas Vogel, Jens Viefhaus, Guido Meier, Thomas Wilhein und Markus Drescher; "Physical Review B", 2014; DOI: 10.1103/PhysRevB.90.184417

Wissenschaftliche Ansprechpartner
Dr. Philipp Wessels, CUI, Universität Hamburg, +49 40 8998-2005, philipp.wessels@desy.de
Dr. Jens Viefhaus, DESY, +49 40 8998-4220, jens.viefhaus@desy.de
Prof. Markus Drescher, CUI, Universität Hamburg, +49 40 8998-2262, markus.drescher@desy.de

Pressekontakt
DESY-Pressesprecher Thomas Zoufal, +49 8998-1666, presse@desy.de

Bilder


Zeitlicher Verlauf der Magnetisierung: Der Gleichgewichtszustand (links) wird per Magntepuls gelöscht (2.v.l.), was eine einheitliche Magnetisierung in der gesamten Speicherzelle bewirkt (Mitte). Dieser Zustand zerfällt über ein kompliziertes Zickzack-Muster (2.v.r.) in den erneuten Gleichgewichtszustands mit einer kreisförmigen Magnetisierung (rechts). Bild: Philipp Wessels/Universität Hamburg

Schematischer Aufbau des Experiments an DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III. Bild: Philipp Wessels/Universität Hamburg

Röntgenmikroskop-Aufnahme der Speicherzelle. Bild: Philipp Wessels/Universität Hamburg

 

Video

Das Video zeigt im Licht des Röntgenmikroskops die Löschung und das erneute Beschreiben einer Speicherzelle analog zur schrittweisen Darstellung oben. Video: Philipp Wessels/Universität Hamburg

Simulation der Magnetisierung innerhalb der Speicherzelle während der Löschung und des erneuten Beschreibens. Die Muster gleichen denen, die mit dem Röntgenmikroskop beobachtet wurden. Video: Philipp Wessels/Universität Hamburg