DESY News: Dehnen statt stauchen

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07.10.2024
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Dehnen statt stauchen

Forschungsteam entdeckt überraschendes Phänomen in einem Nanoschwamm – und schafft damit die Grundlage für eine vielversprechende Sensortechnik

Bäume zeigen eine erstaunliche Eigenschaft: Sie können Wasser mitsamt den darin gelösten Nährstoffen von den Wurzeln bis hinauf in die Krone befördern, teils über Dutzende von Metern, und das ganz ohne mechanische Pumpe. Der dahintersteckende Mechanismus ist trickreich: Die Bäume verfügen über ein System aus feinen Röhrchen, durch die das Wasser von unten bis in die Zweigspitzen aufsteigen kann. Angetrieben wird dieser Transport durch das Verdunsten von Wasser aus kleinen Öffnungen in den Blättern. Dabei entstehen über Kapillarkräfte und die Kleinheit der Poren enorme Unterdrücke, die das Wasser gegen die Schwerkraft aus dem Boden saugen und nach oben ziehen.

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Abbildung eines Nanoschwamms aus Silikat-Nanoporen, der neben einem Baum angeordnet ist, um den Vergleich zwischen der Wasserbewegung in einem Baum und dem im Experiment verwendeten porösen Material zu zeigen.
Dieses Phänomen hat ein Team um Patrick Huber, Forscher bei DESY und Professor an der TU Hamburg, nun im Detail untersucht. Allerdings nahmen die Fachleute nicht Bäume ins Visier, sondern ein spezielles Nanomaterial – ein Silikatglas, durchzogen von unzähligen, äußerst feinen Poren. Diesen gläsernen Nanoschwamm stellten sie so auf, dass von unten Wasser eindringen und aufsteigen konnte. „Als die Flüssigkeit eindrang, änderte das durchsichtige Glas seine Transparenz“, erläutert Erstautor Juan Sanchez. „Dadurch konnten wir mit bloßem Auge beobachten, wie die Flüssigkeit hochstieg.“ Dabei maß ein hochempfindlicher Kraftsensor, wie der zentimetergroße Glaszylinder auf das Eindringen des Wassers reagierte und wie sich seine Ausdehnung änderte.

„Eigentlich hatten wir damit gerechnet, dass die Probe ein wenig zusammenschrumpft, da der durch die Verdunstung hervorgerufene Unterdruck mit steigendem Wasserpegel auf einen immer größeren Teil des Glases wirkt“, erzählt Huber. „Doch dann erlebten wir eine Überraschung: Das Glasstäbchen dehnte sich aus, und zwar schließlich um ein Tausendstel seiner ursprünglichen Länge.“ Zunächst dachte das Team an einen Messfehler, doch der Effekt wollte auch bei weiteren Versuchen nicht weichen: Statt gestaucht zu werden, dehnte sich der Nanoschwamm aus.

Schließlich stieß die Arbeitsgruppe auf die Erklärung: Wenn sich die Nanoporen im Silikatglas mit Wasser füllen, sinkt die Grenzflächenspannung an den Wänden der Poren – wodurch sich diese ausdehnen. „Dieser Beitrag ist größer als der Staucheffekt, der durch den Verdunstungs-Unterdruck bewirkt wird“, erklärt Huber. „Und deshalb haben wir unterm Strich eine Ausdehnung der Glasprobe gemessen“. Das bestätigten auch die Arbeiten von Hubers Mitarbeiter Lars Dammann, der von Robert Meißner, Professor an der TUHH und Forscher am Helmholtz-Zentrum Hereon mitbetreut wurde: Dammann spielte das Phänomen in Computersimulationen durch und kam zu ganz ähnlichen Resultaten. Der Saugdruck in dem Nanoschwamm ist beträchtlich: Ein künstlicher Baum, der aus diesem Material bestehen würde, könnte Wasser über mehrere hundert Meter aufwärts befördern – viel höher also als der höchste Mammutbaum.

Das neue Ergebnis dürfte auch für Anwendungen spannend sein: „Auf Basis unserer Methode könnten wir durch eine simple Längenmessung erfassen, inwieweit ein nanoporöses Material mit Flüssigkeit gefüllt ist“, erläutert Huber. „Das scheint insbesondere für undurchsichtige Materialien interessant, etwa für die kohlenstoffhaltigen Elektroden von Batterien.“ Denkbar wäre also ein Sensor, der den Elektrolyt-Füllstand einer Batterie überwacht – relevant etwa für die Akkus in Elektroautos und für sogenannte Superkondensatoren zur Rückgewinnung von Bremsenergie. Ähnliches scheint für Filtermembranen möglich, sowie für Nanoschwämme, die künftig zur Energiegewinnung taugen könnten, indem sie durch einen Gezeitenwechsel abwechselnd befeuchtet und wieder getrocknet werden.

Auch für Detektoren, die die Luftfeuchtigkeit sehr präzise messen, könnte sich das neue Verfahren eignen. Die Arbeitsgruppe geht diesen Ideen bereits nach: „Derzeit erweitern wir unsere Arbeiten auf andere Materialien, etwa auf nanoporösen Kohlenstoff“, beschreibt Sanchez. „Wir lassen dabei nicht nur einfaches Wasser in unsere Proben eindringen, sondern auch Elektrolyte, wie sie etwa in Batterien Verwendung finden.“

Das Team bestand aus Forschenden von DESY, der TU Hamburg, des Helmholtz-Zentrums Hereon, Michael Fröba von der Universität Hamburg, sowie Howard Stone von der Princeton University in den USA. Die Computersimulationen erfolgten im Rahmen der Helmholtz-Graduiertenschule DASHH, die Experimente waren in das DFG Graduiertenkolleg GRK 2462 „Prozesse in natürlichen und technischen Partikel-Fluid-Systemen (PintPFS)“ eingebettet.

Originalveröffentlichung

Deformation dynamics of nanopores upon water imbibition, Juan Sanchez, Lars Dammann, Laura Gallardo, Zhuoqing Lia, Michael Fröba, Robert H. Meißner, Howard A. Stone, Patrick Huber, „PNAS“, 2024, DOI:10.1073/pnas.2318386121