07.07.2025

Die Wunder der Natur kopieren – und übertreffen

Das Exzellenzcluster BlueMat unter Beteiligung von DESY erforscht das Wechselspiel aus nanoporösen Materialien und Wasser. Unter anderem wollen sie mit künstlichen Schwämmen aus Silizium und Wasser Strom produzieren – konkurrenzlos einfach und nachhaltig.

Der Schwamm ist eines der bekanntesten Beispiele für Bionik – eine evolutionäre Lösung der Natur, die der Mensch technisch nachbaut, um ihre funktionellen Vorteile zu nutzen: Schwämme können große Mengen Wasser in sich aufnehmen, weil sie neben den sichtbaren Löchern auch unzählige unsichtbar kleine haben, in denen es gespeichert wird.

Fachleute bezeichnen diese Materialien als nanoporös, sie sind mit lauter nur nanometergroßen Poren und Kanälen durchzogen. Der Mensch setzt sie aber nicht nur ein, um Flüssigkeiten aufzusaugen oder zu filtern, sondern auch um die Vorteile der extrem großen Oberfläche zu nutzen, die das Material bietet: „Im Volumen eines Zuckerwürfels stecken ganze Fußballfelder an Oberfläche, was bei vielen Anwendungen sehr nützlich ist, weil mehr Oberfläche oft mehr Wirkung bedeutet“, sagt Patrick Huber, Leiter des Instituts für Material- und Röntgenphysik an der Technischen Universität Hamburg und der Arbeitsgruppe „Hochauflösende Röntgenanalytik von Materialien“ bei DESY. So werden solche Materialien auch für Batterien oder Sensoren und als Katalysatoren in der chemischen Industrie verwendet.

Blaue Materialien“ für eine nachhaltigere Zukunft

In dem neuen Exzellenzcluster „BlueMat: Water-driven Materials“ will Hubers Team in Kooperation mit zahlreichen Partnern – darunter federführend die TU Hamburg, außerdem die Universität Hamburg, DESY und das Helmholtz-Zentrum Hereon – völlig neue Anwendungen für nanoporöse Materialien im Zusammenhang mit Wasser erforschen: Denn durch verschiedene Wechselwirkungen mit Wasser entwickeln die Materialien ganz neue Eigenschaften. Die Röntgenlichtquelle PETRA III und das geplante Update zu PETRA IV spielen für die Untersuchung dieser Eigenschaften und Wechselwirkungen eine entscheidende Rolle.

Am Ende der Entwicklung denkbar wären zum Beispiel smarte Fenster, die je nach Tageszeit verschiedene Strahlen herausfiltern und so die Raumtemperatur regulieren. Oder Glas-Displays, die sich mit einem Infrarotlaser beschreiben lassen, indem der Laser enthaltenes Wasser verdampft.

Ein besonders vielversprechendes Einsatzgebiet ist die Energietechnik: Nanoporöse Materialien können Strom produzieren, wenn sie in Kontakt mit Wasser kommen. Dies wäre eine neue Form der Hydrovoltaik, die analog zur Photovoltaik Strom herstellt – nur eben mit Wasser statt mit Sonnenlicht. Bei der Hydrovoltaik geschieht dies nicht klassisch per Wasserkraft, die Turbinen antreibt, sondern durch das Ausnutzen mikroskopischer Phänomene wie dem Benetzen oder der Verdunstung.

Strom aus Sand und Wasser

Im Rahmen von BlueMat wollen die Forschenden ein elektrisch leitfähiges, nanoporöses Material entwickeln, das Strom produziert, wenn es von Wasser durchtränkt wird – und nachdem es getrocknet ist, beginnt der Zyklus von vorn. „Dieser Ansatz der Hydrovoltaik hat zwei große Vorteile“, sagt Huber. Zum einen funktioniere er mit einfachen, leicht verfügbaren und günstigen Rohstoffen und Verfahren: Das nanoporöse Material lasse sich durch sich selbst organisierende Prozesse wie Korrosion und per 3D-Druck aus normalem Silizium herstellen, das beispielsweise aus Quarzsand gewonnen wird. Und zum Trocknen diene ganz niedrigschwellige Abwärme etwa von industriellen Prozessen oder auch von Computern. „Genau genommen braucht man nicht einmal Wärme, sondern nur trockene Luft“, sagt Huber. „Die Wärme macht das Trocknen nur effektiver.“

Jedenfalls sind weder komplexe Materialien oder Mechanismen noch Wärmestrahlung bestimmter Qualität notwendig. Huber:

„Die Komplexität liegt bei uns nicht in der Chemie, sondern in der Geometrie des Materials.“
Foto von Patrick Huber
Patrick Huber Leiter des Instituts für Material- und Röntgenphysik an der TU Hamburg, Arbeitsgruppe „Hochauflösende Röntgenanalytik von Materialien“ bei DESY

Bäume als Vorbild

Und da dient die Natur abermals als Vorbild. Huber vergleicht das mit dem Baum: Jedes Kind lernt in der Schule, dass Bäume es mit Mikrometer-engen Leitungsbahnen schaffen, Wasser aus dem Boden bis in die höchsten Gipfel zu transportieren – ohne jede mechanische Pumpe, sondern vor allem dank der Kapillarwirkung der engen Röhrchen und dem Unterdruck in den Blättern, von denen das Wasser verdunstet – Transpirationssog genannt.

 

Eine Skizze von einem Baum mit dargestelltem Wasserleitsystem, als mehrere sich verzweigende Röhren dargestellt.
Abbildung eines nanoporösen Materials aus Silikat-Nanoporen, das neben einem Baum platziert wurde, um den Vergleich zwischen der Wasserbewegung in einem Baum und dem im Experiment verwendeten porösen Material zu veranschaulichen. Grafik: Patrick Huber, TUHH

Doch der Baum hat geometrisch noch viel mehr zu bieten: Seine Fasern sind auf Zellebene so raffiniert strukturiert, dass sie trotz einfachster Zusammensetzung aus Wasserstoff, Sauerstoff und Kohlenstoff enorme mechanische Belastungen aushalten. „Die Zucker sind hierarchisch porös strukturiert“, erklärt Huber. „Zellen tun sich zu Filamenten zusammen, diese zu Bündeln, diese zu Fasern. Auf verschiedenen Längenskalen setzt der Baum komplexe architektonische Prinzipien um und erreicht so zum Beispiel Festigkeiten, die wir technisch bislang allenfalls mit Stahl erreichen.“

Noch mehr Finesse steckt in den Baumwurzeln: Aquaporine – spezielle Proteine mit winzigen Kanälen – sorgen dort dafür, dass nur jene Nährstoffe hineingelangen, die der Baum benötigt – und andere Stoffe draußen bleiben. „Das funktioniert neben der Größe auch über die Ladung“, sagt Huber. Die Aquaporine sind positiv geladen und stoßen so Protonen ab, lassen aber die neutralen Wassermoleküle passieren, obwohl sie viel größer sind. „Der Baum macht da Nanofluidik par excellence“, sagt Huber. Für die strukturelle Aufklärung dieser Vorgänge wurde 2003 der Chemie-Nobelpreis verliehen.

Ziel von BlueMat ist es, ähnlich geometrisch komplexe Materialien künstlich herzustellen. Und das neue Hydrovoltaik-Material wäre das beste Beispiel: Wasser oder ein wässriger Elektrolyt wie etwa einfache Kochsalzlösung dringt in die Poren einer nanoporösen Silizium-Elektrode ein und induziert dabei eine Ladung, die an den Wänden des Materials angelagert wird. Dank der riesigen Fläche summieren sich die Ladungsträger schnell zu einer Menge Strom, die abgeleitet und genutzt werden kann. Vorläufiges Ziel des Projekts ist es, auf 10 Kilowattstunden pro Kubikmeter zu kommen. Das entspricht ungefähr dem Bedarf eines kompletten Haushalts oder einer kleinen Werkstatt.

Die einfachste Form des Wiederaufladens

Besonders interessant werden solche Mengen vor dem Hintergrund des sehr einfachen „Wiederaufladens“ der Siliziumelektrode – indem sie trocknet. „Da dafür in diesem Fall ganz schlichte Abwärme ausreicht und beim Verdunsten des Wassers auch noch Verdunstungskälte entsteht, könnte man diese Form der Stromgewinnung zum Beispiel ideal in den großen Rechenzentren installieren, die wir in der modernen, computerisierten und zunehmend KI-gesteuerten Welt immer dringender brauchen“, sagt Huber. Das Material liefert den Strom und kühlt gleichzeitig die Rechner, und die Rechner liefern mit ihrem Betrieb die nötige Wärme zur Trocknung des Materials nach der Tränkung.

Ein niedrigschwelligeres Einsatzgebiet wären autonome Sensoren, die weder Stromleitung noch Batterie benötigen. Wann immer Regen fällt, produziert der Sensor seine Energie selbst und sendet Messergebnisse. Am naheliegendsten wären Regensensoren, aber auch andere sind denkbar.

Mit PETRA IV die Natur übertreffen

Um solche Ideen umzusetzen, müssen die Forschenden allerdings noch diverse technische Hürden nehmen, die ein noch detaillierteres Verständnis erfordern, wie genau die Wassermoleküle mit dem nanoporösen Silizium interagieren. „Mit dem Röntgenmikroskop PETRA III, das wir dafür nutzen, können wir beobachten, wie sich nur 2,5 Mikrometer schmale Kanäle mit Wasser füllen“, berichtet Huber. Allerdings wollen die Forschenden im Idealfall sogar jedes einzelne Wassermolekül verfolgen, das nur 0,25 Nanometer, also noch 10.000-fach kleiner ist. Wie verhält es sich in den Kanälen? Wie wechselwirkt es mit der Wand? Wie genau geht das vor sich, dass in dem Wasser gelöste Stoffe aussalzen und mit der Zeit die Kanäle verstopfen? „Bei Studien mit PETRA III können wir solche Details nur extrapolieren, nicht jedoch direkt filmen. Mit PETRA IV und seiner vielfach höheren Auflösung jedoch können wir solche Filme auf Nanoebene drehen und viel präziser beurteilen, wie wir unser Material verändern müssen, damit es optimale Ergebnisse liefert.“

Außerdem könne mit entsprechend genauen Untersuchungen auch der 3D-Druck des nanoporösen Siliziums optimiert werden. Unter dem Mikroskop lässt sich erkennen, wie das Siliziumpulver unter dem Laser schmilzt, abkühlt und die Atome sich wieder verbinden. Mit diesem Wissen können die Forschenden den Prozess womöglich gezielter steuern, beschleunigen und die Anordnung der Siliziumatome so wählen, dass im resultierenden Material kaum mehr Defekte stecken.

So würde PETRA IV es Forschenden wie denen des BlueMat-Exzellenclusters also ermöglichen, vielen Geheimnissen der Natur auf die Spur zu kommen. Und zwar so detailliert, dass es endlich gelingen kann, ihre – im Vergleich zur Ingenieurstechnik – häufig effizienteren und nachhaltigeren Prozesse nachzuahmen. Die Wunder der Natur werden kopierbar. Doch nicht nur das“, stellt Patrick Huber in Aussicht: „Womöglich können wir im Einzelfall mithilfe Künstlicher Intelligenz Konfigurationen finden, die sogar noch besser funktionieren, weil sie zum Beispiel länger haltbar sind.“

Am Exzellenzcluster BlueMat sind insgesamt folgende Partnerinstitutionen beteiligt:

TU Hamburg, Deutsches Elektronen-Synchrotron (DESY), Universität Hamburg, Helmholtz-Zentrum Hereon, European XFEL, Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie, Helmut-Schmidt-Universität, Bundesanstalt für Materialforschung, Fraunhofer-Einrichtung für Additive Produktionstechnologien (IAPT), Hochschule für bildende Künste (HFBK), Hamburg Media School, Joachim Herz Stiftung, Center for Molecular Water Science (CMWS)

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