26.08.2024

Röntgenlicht auf Zeitreise

60 Jahre beschleunigte Forschung mit Synchrotronstrahlung bei DESY

Das Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY feiert mit einem Festkolloquium am 26. August 2024 „60 Jahre Forschung mit Synchrotronstrahlung in Hamburg“. Aus diesem Anlass kommen rund 300 ehemalige Weggefährten und -gefährtinnen zu DESY. Seit Inbetriebnahme seines ersten Teilchenbeschleunigers 1964 gehört DESY weltweit zu den Pionieren der Forschung mit Synchrotronlicht - einer besonderen von diesen Großgeräten erzeugten Röntgenstrahlung. An DESYs „Lichtmaschinen“ wurde seitdem hochkarätige Forschung betrieben, die 2009 sogar nobelpreiswürdig war. Die DESY-Expertise erschuf zudem eine völlig neue Art von Forschungs-großgeräten: Freie-Elektronen-Laser, die chemische Reaktionen in Echtzeit filmen können.

Gruppenfoto vor PETRA IV Plakat
Sie feiern 60 Jahre Forschung mit Synchrotronlicht bei DESY: Robert Feidenhans'l, Poul Nissen, Edgar Weckert, Sasa Bajt, Massimo Altarelli, Jerome Hastings, Jochen Schneider, Tetsuya Ishikawa, Laurent Chapon, Francesco Sette, Harald Reichert, Rolf Heuer, Helmut Dosch (von links nach rechts). Foto: DESY

DESY wurde 1959 in Hamburg gegründet und hat 1964 den ersten Teilchenbeschleuniger Deutschlands in Betrieb genommen, damals der größte Beschleuniger der Welt. Von Beginn an wurde die hochintensive Röntgenstrahlung – die solche Beschleuniger produzieren – charakterisiert und schnell ihr Potenzial für die Strukturforschung erkannt: Das stark gebündelte Synchrotronlicht lässt sich nutzen, um gestochen scharfe Bilder von Atomen und Molekülen zu erzeugen und so Funktion und Geheimnisse von Materialien zu entschlüsseln. 1974 kam der Nachfolge-Beschleuniger DORIS und 1978 der 2,3 Kilometer lange Speicherring PETRA hinzu. Beide Anlagen wurden für tausende Forscherinnen und Forscher aus Deutschland und der ganzen Welt zu wahren Fundgruben der Wissenschaft, ebenso wie der weltweit erste Röntgenlaser FLASH, der seit 2005 für eine breite Nutzerschaft zur Verfügung steht.

Seit 60 Jahren stehen die Großforschungsanlagen bei DESY für herausragende wissenschaftliche Exzellenz. Seit 2009 zieht die Röntgenlichtquelle PETRA III als Magnet für Spitzenforschung jährlich mehr als 3500 Forschende aus aller Welt an, die dort ihre Experimente durchführen. Und das hat eine lange Tradition: 1978 entsteht mit HASYLAB ein Großlabor für die Forschung mit Synchrotronstrahlung. Schnell wird es zu einer der weltweit führenden Einrichtungen seiner Art. So entschlüsselte die israelische Wissenschaftlerin Ada Yonath an DESYs Röntgenlichtquelle DORIS die Struktur der Ribosomen. Ada Yonath hat dafür 2009 zusammen mit Venkatraman Ramakrishnan und Thomas A. Steitz den Chemie-Nobelpreis erhalten.

Neben wissenschaftlichen Ergebnissen erzeugen DESYs Röntgenlichtquellen wirtschaftlichen Nutzen. So hat beispielsweise eine 2023 veröffentlichte Studie gezeigt, dass allein PETRA III mit einer Wertschöpfung von mehr als 2 Milliarden Euro in den letzten zehn Jahren eine beachtliche ökonomische Wirkung bewies.

Ab Anfang der 1990er Jahre führte DESY eine weltweite Kooperation zur Entwicklung einer völlig neuen Technologie an: supraleitende Linearbeschleuniger, die Laserlicht mit Röntgenwellenlängen - Röntgenlaserlicht - produzieren können. Als erste Anlage dieser Art weltweit erzeugt DESYs 260 Meter langer Freie-Elektronen-Laser FLASH seit 2005 Lichtblitze im weichen Röntgenbereich, die der internationalen Photon-Science-Community für ihre Experimente zur Verfügung stehen.

2017 nahm ein weiterer von DESY gebauter Teilchenbeschleuniger den Betrieb auf: Der European XFEL, der größte Röntgenlaser der Welt, der bis zu 27 000 Laserlichtblitze in der Sekunde erzeugt. Die mehr als drei Kilometer lange unterirdische Anlage reicht vom DESY-Gelände in Hamburg bis ins schleswig-holsteinische Schenefeld, wo sich der Forschungscampus mit Experimentierhalle befindet. Der European XFEL bildet zusammen mit PETRA III und FLASH ein weltweit einzigartiges System von Forschungsanlagen für die Forschung mit Synchrotronstrahlung – für jede Forschungsfrage gibt es hier das passende Experimentierumfeld.

Jetzt geht DESY den entscheidenden Schritt weiter zur Revolutionierung der Forschung mit Röntgenlicht: Die geplante Beschleunigeranlage PETRA IV wird ein 3D-Röntgenmikroskop, das in Brillanz und Leistungsstärke alles Bisherige übertreffen wird. Durch maximale Fokussierung des Röntgenlichts – also ultimativ gebündelte Röntgenstrahlen – entstehen dreidimensionale Strukturbilder; etwa hundertfach detailreicher als an PETRA III. Die dann weltweit leistungsstärkste Speicherring-Röntgenlichtquelle wird Daten erzeugen, die – zusammen mit einem neuartigen Betriebskonzept, Grundlagen- und angewandte Forschung eng verflechtet – und somit den Erkenntnisgewinn signifikant beschleunigen und Deutschlands technologische Souveränität weiter festigen wird.

Weitere außergewöhnliche Fakten:

  • DESY, DORIS, HERA, PETRA, PIA – alle Ringbeschleuniger bei DESY tragen Frauennamen. Bei allen Namen handelt es sich um Abkürzungen für wissenschaftliche Funktionen und Begriffe. Beispiel: PETRA = Positron-Elektron-Tandem-Ring-Anlage.
  • Ein unterirdisches Glasfasernetzwerk mit 19.000 Sensoren konnte die Erschütterungen – sogennante „Swift-Quakes“ – während des Taylor Swift Konzertes in Hamburg messen. Die Lichtstrahlen zeigen auf ihrem Weg durch Glasfaser, wie sich die Kabel durch Bodenschwingungen verändern.
  • Der Freie-Elektronen-Laser FLASH hat es 2012 mit dem „schnellsten Film der Welt“ ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft. Zwischen den einzelnen Bildern ist nur ein Abstand von 50 Femtosekunden (billiardstel Sekunden) – 800 Milliarden Mal schneller als bei üblichen Kinofilmen.
  • DESY-WissenschaftlerInnen machten 2008 ein übermaltes Van-Gogh-Gemälde sichtbar. Unter einer grünen Wiese kam nach Untersuchung mit Synchrotronstrahlung am Beschleuniger DORIS ein Frauenporträt zum Vorschein.

Mehr zu 60 Jahren Forschung mit Synchrotronlicht finden Sie auch auf der Website: synchrotron60.desy.de

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