Sechs DESY- Forschende erhalten renommierte ERC Synergy Grants
Zwei DESY-Teams sichern sich fast 20 Millionen Euro Fördermittel für zwei bahnbrechende Forschungsprogramme in der Grundlagenphysik
Synergien ohne Ende: Sechs Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Forschungszentrums DESY in Hamburg wurden für zwei ehrgeizige Forschungsprogramme mit den sehr kompetitiven Synergy Grants des Europäischen Forschungsrats (ERC) ausgezeichnet. Diese Stipendien zählen zu den angesehensten in der Europäischen Union und würdigen herausragende wissenschaftliche Exzellenz sowie einzigartige Kooperationen.
Die Gesamtförderung von 19,3 Millionen Euro über sechs Jahre ermöglicht es den Gruppen, ihre Teams zu erweitern, modernste Instrumentierungen zu entwickeln und ihre Forschung durch diese beiden ambitionierten, risikoreichen Programme in neue Richtungen zu lenken. Jedes Programm wird von vier Hauptforschenden (Principal Investigators, PIs) geleitet, wobei ein Team ausschließlich aus DESY Leitenden Wissenschaftler:innen besteht. Dies ist das erste ERC Synergy Projekt, bei dem alle vier PIs von der gleichen Institution innerhalb der Helmholtz-Gemeinschaft kommen.
Beide geförderten Projekte haben wichtige wissenschaftliche Ziele. Das Team bestehend aus Saša Bajt, Francesca Calegari, Henry Chapman und Nina Rohringer erhält 14 Millionen Euro für DESY und wird atomare Bildgebung mit dem Nobelpreis-gekrönten Forschungsfeld der Attosekundenwissenschaft verbinden – die fortschrittlichste ultraschnelle Bildgebung von Materie in der Wissenschaft. Das andere Team ist eine Kooperation von DESY-Wissenschaftlerin Jenny List, dem Leitenden Wissenschaftler Andreas Maier, Henri Vincente vom französischen Forschungsinstitut CEA und Antonino Di Piazza von der University of Rochester in den USA. Dieses Projekt, das ebenfalls mit 14 Millionen Euro gefördert wird, davon 5,3 Millionen Euro für DESY, untersucht die quantenphysikalischen Grundlagen der elektromagnetischen Kraft, einer der vier Grundkräfte des Universums, indem es mit Hilfe von Plasma-Beschleunigern und Hochleistungslasern extrem starke elektrische Felder erzeugt.
Der Europäische Forschungsrat (ERC) ist die führende Förderinstitution für Spitzenforschung in der EU. Die ERC Synergy Grants sind besonders angesehen, da sie außergewöhnliche interdisziplinäre Zusammenarbeit voraussetzen. Mit nur 66 geförderten Projekten aus 701 Bewerbungen im Jahr 2025 (eine Erfolgsquote von lediglich 9,4 %) zählen die Preistragenden zu den führenden Forschenden Europas. Die Stipendien bieten nicht nur beträchtliche finanzielle Mittel, sondern sind auch mit erheblichem Prestige verbunden, was das internationale Ansehen sowohl der einzelnen Forschenden als auch von DESY als führender Forschungseinrichtung stärkt.
„Die Forschung bei DESY ist nicht nur exzellent, sondern auch vielfältig, wie diese beiden ERC Synergy Grants deutlich machen“, sagt Beate Heinemann, Vorsitzende des DESY-Direktoriums. „Unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben Themen, Methoden und Theorien aus verschiedenen Bereichen unseres Forschungszentrums zusammengebracht und innovative, kooperative Pläne vorgeschlagen, um neue Technologien für das Verständnis von Materie zu entwickeln. Besonders beeindruckt hat mich, dass eins der Stipendien an vier DESY-Forschende vergeben wurde, die ein Team gebildet haben. Mein herzlichster Glückwunsch an alle beteiligten Forschenden beider Projekte, und vor allem wünsche ich ihnen viel Erfolg bei der Erreichung ihrer Forschungsziele!“
Die erfolgreichen Forschungsteams werden die Gelder über die nächsten 72 Monate nutzen, um neue Doktorand:innen- und Postdoktorand:innenstellen zu schaffen und neue Instrumente zu entwickeln. Die Forschenden, die die beiden Projekte vorgeschlagen haben, wollen Werkzeuge entwickeln, mit denen anderen in ihren Fachbereichen neue Forschungsfragen bearbeiten können.um so entscheidende Fortschritte bei der Beantwortung langjähriger Fragen zur Natur der Materie zu erzielen. Darüber hinaus wollen beide Teams mit Hilfe direkter Erkenntnisse, die sie mit den von ihnen entwickelten neuen Methoden gewinnen, Maßstäbe für seit langem bestehende Theorien setzen.
MEHR ÜBER DIE ERFOLGREICHEN FORSCHUNGSPROJEKTE
Ultraschnell trifft ultrakurz: IDEAA
Vier leitende DESY-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler sowie Mitglieder des Exzellenzclusters „CUI Advanced Imaging of Matter“ (AIM) der Universität Hamburg stecken hinter dem geförderten IDEAA-Projekt („Imaging the Dynamics of Electrons at Attosecond and Ångstrom resolution“): Saša Bajt, Francesca Calegari, Henry Chapman und Nina Rohringer. Ziel des Teams ist es, die Bewegungen von Elektronen in komplexen organischen Molekülen zu beobachten. Diese Informationen sind der Schlüssel zum vollständigen Verständnis der elektronischen Grundlagen der Chemie – ein bedeutender Schritt hin zur gezielten Steuerung chemischer Reaktionen. Das wäre ein Paradigmenwechsel sowohl von unserem Verständnis der Natur als auch in der chemischen Verfahrenstechnik, der Medikamentenentwicklung, in industriellen Prozessen und vielem mehr. IDEAA erhält dafür fast 14 Millionen Euro.
„Wir waren die Ersten, die Attosekunden-Lichtquellen genutzt haben, um die ultraschnelle Wanderung elektronischer Ladungen in komplexen Molekülen zu ‚filmen‘. Solche Filme über die Elektronendynamik konnten jedoch bislang nur durch die Kombination von Theorie und indirekter spektroskopischer Beobachtung in Experimenten erzeugt werden“, sagt Francesca Calegari, Leitende Wissenschaftlerin bei DESY, Professorin für Physik, Sprecherin des CUI-Clusters an der Universität Hamburg sowie Leiterin der Attosecond Science Group am Center for Free Electron Laser Science (CFEL). „Wir wollen diese Filme direkt aus unseren Messdaten erzeugen.“
Die Attosekundenforschung, die 2023 mit dem Physik-Nobelpreises ausgezeichnet wurde, ermöglicht solche direkten Beobachtungen. Elektronenbewegung wird im Attosekundenbereich – einer Milliardstel einer Milliardstel Sekunde – sichtbar, doch die Herausforderung für das Team besteht darin, dies im Maßstab eines Ångström, also einem Zehnmilliardstel Meter, zu zeigen. Ein Ångström entspricht der Größe eines einzelnen Atoms. „Wir wollen beobachten können, wie Chemie auf atomarer Ebene abläuft, und durch neue Möglichkeiten an Freie-Elektronen-Röntgenlasern und Tischlasern können wir diese Zeitskalen mittlerweile erreichen“, sagt Henry Chapman, Leitender Wissenschaftler bei DESY, Professor für Physik und Sprecher des CUI -Clusters an der Universität Hamburg, Leiter der Gruppe Coherent X-ray Imaging am CFEL bei DESY und Entwickler mehrerer entscheidender Forschungstechniken für Röntgenlaser. „Aber man erkennt sofort, wie schwierig es ist, überhaupt etwas abzubilden, denn Licht legt in dieser Zeit nur wenige Ångström zurück. Und genau hier kommen Sašas Linsen ins Spiel.“
Saša Bajt, Leitende Wissenschaftlerin bei DESY und Leiterin Gruppe Forschungsgruppe zu Advanced Optics am CFEL, entwickelt einzigartige mehrschichtige Laue-Linsen, die es ermöglichen, die Wellenfront des Röntgenstrahls mit der für Attosekundenpulse erforderlichen Präzision zu kontrollieren. „Diese Linsen können den Strahl bis auf eine einzelne Einheit eines Kristalls fokussieren, aber hier nutzen wir diese extreme Fokussierbarkeit auf eine andere Weise – um die Zeit im Beugungsmuster des Kristalls zu vergrößern und zu codieren“, erklärt Bajt. „Als wir zu viert das Konzept von IDEAA entwickelt haben, stellten wir fest, dass wir mehrere neue experimentelle Techniken mit theoretischen Ansätzen kombinieren mussten.“
Die Expertise von Nina Rohringer im Bereich der Licht-Materie-Wechselwirkungen wird entscheidend sein für die Entwicklung der theoretischen Grundlagen und Algorithmen, die für diesen innovativen Ansatz erforderlich sind. „Unser Ziel ist es, einen synergetischen, multimodalen Ansatz zu entwickeln“, sagt Rohringer, Leitende Wissenschaftlerin bei DESY und Professorin für Physik an der Universität Hamburg. „Indem wir Daten aus verschiedenen Röntgen- und laserbasierten Techniken kombinieren und sie mit innovativen Algorithmen gleichzeitig analysieren, können wir die koordinierte Bewegung von Elektronen, ausgelöst durch ultraschnelle Laserpulse, rekonstruieren. Diese wegweisende Methodik wird einen neuen experimentellen Maßstab für die Quantenchemie und die zeitabhängige elektronische Strukturtheorie setzen.“ Das Team wird sowohl Attosekundenquellen im Labor als auch den European XFEL, den weltweit größten Röntgenlaser, als Hauptstandorte für ihre Forschung nutzen.
„Dieses Team zeigt eindrucksvoll, wie Themen und Fachwissen aus dem gesamten Bereich der Forschung mit Photonen bei DESY auf synergetische Weise zusammengeführt werden können“, sagt Britta Redlich, DESY-Direktorin für Forschung mit Photonen. „Ich freue mich, dass der ERC die Einzigartigkeit dieses Synergy Grants erkannt hat. Außerdem zeigt er die bemerkenswerte Bandbreite der Themen im Bereich der Forschung mit Photonen hier in Hamburg, wo solche Ideen wirklich hervorragend gedeihen können. Ich bin sehr gespannt, was dieses fantastische Team erreichen wird!“
Das Vakuum zum Kochen bringen: NP-QED
Die Idee des erfolgreichen NP-QED-Projekts (Probing the non-perturbative regime of Quantum Electrodynamics with extreme light) besteht darin, mit einem auf Plasmatechnologie basierendem Teilchenbeschleuniger und einem Hochleistungslaser Bedingungen zu erzeugen, die nahe an der sogenannten Schwinger-Grenze liegen, einer physikalischen Grenze, jenseits der bisher nie beobachtete Phänomene vorhergesagt werden. Nach der Theorie der Quantenelektrodynamik (QED) entstehen im Vakuum ständig Teilchen und Antiteilchen, die einander spontan und nahezu augenblicklich vernichten – so schnell, dass dies nicht beobachtet werden kann. NP-QED erhält fast 14 Millionen Euro, von denen etwa 5 Millionen an DESY-Forschende gehen.
„Wir nennen es "das Vakuum zum Kochen bringen" – dabei spalten wir die Quantenfluktuationen des Vakuums auf und erzeugen aus dem Vakuum echte Materie- und Antimaterieteilchen“, erklärt DESY-Wissenschaftlerin Jenny List, Expertin für Teilchendetektoren für zukünftige Collider-Experimente und QED-Experimente. „In einem so starken Feld kann man Teilchen-Antiteilchen-Paare erzeugen, ohne dass sie sich gegenseitig vernichten und verschwinden.“
Dies ist nur bei extrem hohen elektrischen Feldstärken möglich, wie sie bei großen kosmischen Ereignissen auftreten können – aber auch durch beschleunigte Teilchen, die mit intensivem Licht in Kontakt kommen. Andreas Maier, Leitender Wissenschaftler bei DESY, entwickelt kompakte, auf Plasmatechnologie basierende Beschleuniger als Ergänzung zu den klassischen, größeren Hochfrequenzbeschleunigern.
„Eine der Ideen dabei ist auch zu demonstrieren, wie diese Technologie immer ausgereifter wird“, sagt Maier. „Mit dieser Anlage könnten solche Experimente nicht nur an einem Institut wie DESY als großem nationalen Labor durchgeführt werden, sondern auch an Universitäten und mittelgroßen Forschungseinrichtungen.“ Das Projekt wird auch Rückschlüsse darauf zulassen, inwieweit Plasmabeschleuniger für Experimente in der Teilchenphysik eingesetzt werden können. „Dadurch können wir die Teilchen-Collider der Zukunft mitgestalten“, sagt List.
List und Maier werden eine Forschungsanlage mit einem Plasmabeschleuniger und einem Hochleistungslaser und komplexer Diagnostik zum Nachweis der produzierten Teilchen aufbauen. Die weiteren Leiter des NP-QED-Projektes sind Henri Vincenti vom CEA Saclay in Frankreich, einem weiteren führenden Forschungszentrum für Beschleunigertechnologien, und der theoretischen Physiker Antonino di Piazza von der University of Rochester in den USA. Vincenti wird neuartige, aus Plasma bestehende Spiegel beisteuern, die den Hochleistungslaser noch deutlich weiter verstärken. Di Piazza wird neue Modelle entwickeln, um die Ergebnisse der Experimente zu erklären und sie mit den Erwartungen der QED, wie sie bisher verstanden wird, zu vergleichen. Darüber hinaus wird das Team mit Forschenden der Hochleistungslaseranlage ELI-NP in Bukarest, Rumänien, und des Weizmann-Instituts in Israel zusammenarbeiten.
„Die Idee, relativistische Plasmaspiegel mit den fortschrittlichen Plasmabeschleunigern zu kombinieren, die wir bei DESY entwickelt haben, entstand aus einer spannenden Diskussion, die ich mit Henri nach einer Präsentation seiner bahnbrechenden Arbeit über relativistische Plasmaspiegel geführt habe“, sagt DESY-Beschleunigerdirektor Wim Leemans. „Dank eines hervorragenden Teams ist ein wirklich spannender Projektvorschlag entstanden, der uns in die ‚terra incognita‘ der nichtlinearen QED führen wird.“
„Die Teilchenphysik bei DESY ist an der Spitze der Forschung – das ist die Botschaft dieser prestigeträchtigen Förderung für NP-QED“, sagt DESY-Direktor für Teilchenphysik Ulrich Husemann. „Dieses Institut unterstützt Weltklasse-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler, die dazu beitragen können, weitreichende Ideen für die Teilchenphysik-Anlagen der Zukunft zu verwirklichen und gleichzeitig grundlegende Fragen der Physik zu beantworten.“