27.03.2025

Feuerwerk aus Proteinen kann zur Identifizierung ihrer Strukturen führen

Simulation zeigt, dass ähnliche Proteinstrukturen dadurch identifiziert werden können, wie sie in einem Röntgenlaser explodieren

Ein Team unter der Leitung von Carl Caleman, Wissenschaftler am Center for Free Electron Science (CFEL) bei DESY, hat eine Methode entwickelt, mit der sich ähnliche Proteinstrukturen identifizieren lassen. Das Verfahren nutzt die Überreste von Eiweißmolekülen, die durch Röntgenlaserpulse von Anlagen wie FLASH und dem European XFEL explodiert sind. Wenn eine derartige explodierte Proteinstruktur bekannt ist, hinterlässt eine zweite ähnliche Struktur eine ähnliche Signatur, aus der sich wiederum Details der Proteinstruktur ableiten lassen. Die Ergebnisse werden als „Editors’ Suggestion“ in der Zeitschrift Physical Review Letters veröffentlicht.

Foto von explodierenden Proteinen.
Die Forschende fanden heraus, dass Proteine, die mit Röntgenlaserpulsen bestrahlt werden, in vorhersagbaren und reproduzierbaren Mustern explodieren, und dass sie diese Muster nutzen können, um die Komplexität des gefalteten Proteins zu rekonstruieren. Bild: Carl Caleman, CFEL/Uni Uppsala

Proteinstrukturen sind komplex und vielschichtig; sie wecken seit Jahrzehnten das Interesse der Forschenden. Diese Strukturen sind für das Verständnis der Biologie von grundlegender Bedeutung und haben große Auswirkungen auf die Medizin, die Pharmakologie, die Umweltwissenschaften, das Bioengineering und viele andere Bereiche. Im Jahr 2024 wurde die Vorhersage der Proteinfaltung, die komplizierteste aller Ebenen der Proteinstruktur, mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Das mit dem Preis ausgezeichnete Projekt nutzte maschinelles Lernen, um Strukturen von der grundlegendsten Ebene der Komplexität, der Sequenz der Aminosäuren, bis hin zur Faltungsebene zu ermitteln. Die Ergebnisse der hier vorliegenden Studie können dazu beitragen, die Ergebnisse des Nobelpreisprogramms zu ergänzen, indem Proteinmoleküle untersucht werden, die mit einem Röntgenlaser wie ein Feuerwerk zur Explosion gebracht werden.

Wenn sie von intensiven Röntgenpulsen getroffen werden, wie sie von FLASH oder dem European XFEL erzeugt werden, explodieren die meisten Moleküle, darunter auch Proteine, in ihre einzelnen Atome. Das Team unter der Leitung von Caleman, der Professor an der Universität Uppsala in Schweden ist, stellte fest, dass die Atome sich in einer einheitlichen Art und Weise verteilten – auch, wenn die Proteine, die einander sehr ähnlich sehen, explodieren. „Wir haben gesehen, dass sich bei Lysozym (einem sehr verbreiteten Enzym) die Schwefelatome in die gleiche Richtung bewegen“, sagt Caleman. Das Team entdeckte bei seinen Simulationen, dass die Proteinexplosionen reproduzierbar waren. Caleman, der in der Abteilung für kohärente Bildgebung am CFEL, einer Einrichtung von DESY, Universiät Hamburg und der Max-Planck-Gesellschaft, arbeitet, vergleicht die explodierten Proteine mit einem explodierten Auto. „Wenn man ein Auto in die Luft jagen würde, könnte man sehen, wo die Räder und das Dach geblieben sind“, sagt er. „Man kann all diese Teile bis zum Ort der Explosion zurückverfolgen und bekommt eine gute Vorstellung davon, wie das Auto ursprünglich aussah. Das Gleiche machen wir mit den Proteinen, bei denen wir sehen können, wie sich die verschiedenen Teile des Proteins von der Explosion wegbewegen. Letztendlich ist es ganz einfach: Wir lassen es explodieren und schauen uns an, wo die Fragmente gelandet sind.“

Mit Hilfe eines Simulationspakets und zweier verschiedener Algorithmen zur Analyse der Streuung der Atome in den Explosionen verglich das Team diese mit Proteinen, die nicht ähnlich aussahen, und wandte dabei dasselbe Verfahren an. Die Ergebnisse zeigten, dass die Ähnlichkeit nur dann auftrat, wenn die Proteine tatsächlich fast das gleiche Faltungsmuster aufwiesen. „Wir hatten zum Beispiel zwei Proteine, die ein gestrecktes und ein kompaktes Faltungsmuster aufwiesen - sie waren recht einfach zu unterscheiden, wenn man sich ihre Überreste als Ionenkarte ansah“, sagt Caleman. „Aber bei zwei Proteinen aus dem Kapsid eines Virus, die ähnlich aussehen, von denen aber eines symmetrisch ist und das andere eine leichte Asymmetrie in seiner Struktur aufweist, sahen auch die Muster, die sie hinterließen, ähnlich aus.“ Das Team benötigte ausgefeiltere statistische Standardverfahren, um die Proteine anhand der Überreste der beiden Explosionen zu identifizieren, aber sie konnten auseinandergehalten werden. Wiederholte Versuche führten zu denselben Ergebnissen. „Das war sehr aufregend“, sagt Caleman. Die Simulation berücksichtigt auch Informationen aus einem ähnlichen, 2022 veröffentlichten Experiment am European XFEL, bei dem ein kleineres, einfacheres Molekül zur Explosion gebracht und auf diese Weise identifiziert wurde.

AlphaFold, das Projekt, das 2024 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, ist in seinen Vorhersagefähigkeiten extrem leistungsfähig, aber es gibt Fälle, in denen die Ergebnisse dieser Analyse mehrere mögliche Ergebnisse liefern können. Die Erkenntnisse von Caleman und seiner Gruppe bieten eine Möglichkeit, solche Ergebnisse zu verfeinern. AlphaFold hat Schwierigkeiten bei der Vorhersage bestimmter Faltungen, was zum Teil daran liegt, dass seine wichtigste Wissensbasis aus Experimenten mit kristallisierten Proteinen stammt. Das in dieser Studie angewandte Verfahren verwendet Proteine, die nicht kristallisiert sind, und kann dazu beitragen, Unklarheiten über die Faltung bestimmter Moleküle zu beseitigen.

Die nächsten Schritte des Teams bestehen darin, ihre Simulation in einem Experiment mit einem Röntgenlaser durchzuführen. Zu diesem Zweck hat sich das Team mit Experten für die Präparation von Proben zusammengetan, die bei der Herstellung ultrafeiner Proben helfen können, damit die Bedingungen in der Simulation und im Experiment so ähnlich wie möglich sind. Dabei kommt das von einem internationalen EU-geförderten Konsortium um Charlotte Uetrecht, Professorin für Biochemie an der Universität zu Lübeck und Wissenschaftlerin am Centre for Structural Systems Biology (CSSB) bei DESY, entwickelte MS SPIDOC-System zum Einsatz. „Wenn sich dies weiterentwickelt, könnten wir einen völlig neuen Weg einschlagen, umdie Struktur von Proteinen zu erhalten“, sagt Caleman. „Solange die Explosion reproduzierbar ist, sollte das funktionieren.“

Originalveröffentlichung

T André, I Dawod, S Cardoch et al, Protein Structure Classification Based on X-Ray-Laser-Induced Coulomb Explosion, Physical Review Letters (2025), DOI:10.1103/PhysRevLett.134.128403

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