Gymnastik für Elektronenpakete
Nach einem 14-monatigen Umbau im Rahmen des Projekts FLASH2020+ startet bei DESY der Freie-Elektronen-Laser FLASH neu durch – mit neuen, einzigartigen Möglichkeiten für die Forschung am FLASH1-Zweig. Wenn der wissenschaftliche Nutzer:innnenbetrieb dort wieder losgeht, stehen maßgeschneiderte, extrem stabile und spektral schmalbandige Röntgenpulse für Experimente bereit. Zusammen mit der hohen Wiederholrate von FLASH eröffnet dies ganz neue Wege für präzise Studien in Biologie, Chemie und Materialforschung unter extrem hoher Zeitauflösung im Femtosekundenbereich.
DESYs Freie-Elektronen-Laser FLASH, der von Juni 2024 bis August 2025 in einer massiven Umbauphase war, ist kaum wiederzuerkennen. Die 300 Meter lange Anlage blitzt und glänzt – in den letzten Wochen haben Techniker:innen, Ingenieur:innen und Wissenschaftler:innen überall letzte Hand angelegt, Verbindungen und Zuleitungen geprüft, Motoren und Magnete getestet und Spiegel justiert, um alles für den Neustart vorzubereiten. Durch die Umbauarbeiten ist der Freie-Elektronen-Laser (FEL) zu einer neuen Maschine mit einzigartigen Eigenschaften geworden, die revolutionäre Experimente im Röntgenbereich ermöglichen wird. Er wird jetzt vorsichtig und Stück für Stück in Betrieb genommen. Durch das Projekt FLASH2020+ wird FLASH auch in Zukunft Röntgenlaserpionier und Vorreiter für innovative Technologien sein.
Ein zentrales Element ist die besondere Konfiguration von Undulatoren. Undulatoren sind periodische Magnetanordnungen, die einen Elektronenstrahl beim Durchqueren oszillieren lassen, also sie in Schwingung versetzen. Dabei können die Elektronen entweder intensive, gebündelte FEL-Pulse erzeugen oder über die Wechselwirkung mit starken Lasern gezielt manipuliert werden. Durch das Zusammenspiel mit dem Laser können gezielt bestimmte Eigenschaften des Lasers auf den Elektronenstrahl übertragen werden – der Fachbegriff für diesen Prozess ist Säen (engl. „seeding“). Ein so präparierter Elektronenstrahl bietet viele Vorteile in der Erzeugung von Röntgenlicht: Die Lichtpulse sind spektral schmaler (d. h. „einfarbiger“), zeitlich exakter und von Schuss zu Schuss stabiler, und nicht nur in der Breite kohärent, so wie FLASH2 und in Zukunft auch PETRA IV, sondern zusätzlich auch in zeitlicher Richtung. Forschende können so bald Proben nicht nur mit höchster Zeitauflösung analysieren, sondern zusätzlich Prozesse betrachten, in denen zeitliche Abfolgen eine Rolle spielen.

„Unsere Elektronenpakete werden durch die komplexeren Undulatoren gezwungen, Gymnastik zu machen“, sagt DESY-Wissenschaftler Rolf Treusch, FLASH-Gruppenleiter für wissenschaftlichen Nutzer:innenbetrieb. „Sie pendeln nicht mehr nur hin und her, sondern machen beim Vorwärtsfliegen auch – auf Wunsch - einstellbare Spiralbewegungen, die auch das Licht zum Rotieren bringen können. Die Lichtblitze, die dabei durch das „Seeding“ entstehen werden, sind in ihrer Intensität von Schuss zu Schuss stabiler und besser vergleichbar. Das ermöglicht präzisere und reproduzierbarere Experimente, zum Beispiel in der Zeitauflösung von ultraschnellen Prozessen – für Experimente zukünftiger Nutzer:innen aus der Biologie oder Biochemie ist das extrem wichtig.“
Um die neue FLASH1-Strahlführung bauen zu können, wurde die hintere Hälfte des FLASH-Tunnels komplett ausgeräumt – eine gute Gelegenheit, dann auch gleich die Infrastruktur zu modernisieren, alle Wände zu streichen, neues Licht und neue Kabeltrassen zu installieren. „Das verdanken wir allen Beteiligten, die so tatkäftig bei der Vorbereitung und Installation mitgewirkt haben. Zusammen haben wir mit der Neuinstallation von FLASH1 den Boden für FLASHs wissenschaftliche Zukunft geebnet und werden bald schon neue Fragestellungen beleuchten“, freut sich FLASH-Projektleiter Lucas Schaper. Auch die Strahldiagnostik wurde umfangreich verbessert, so dass jetzt eine noch bessere externe Kontrolle und Sofortkorrektur der erzeugten Röntgenpulse aus dem Beschleuniger-Kontrollraum möglich ist.
Die verbesserten Eigenschaften der Lichtpulse sorgen auch im hinteren Teil von FLASH1 kurz vor den Messplätzen für Neuerungen. So mussten zum Beispiel neue Spiegelkammern, die das erzeugte Licht nahezu verlustfrei weiterleiten sollen, installiert werden. „Die polierte Oberfläche dieser Röntgenspiegel ist auf Sub-Nanometer genau hergestellt“, sagt Schaper. „Die externe Produktion der Spiegel hat zwei Jahre gedauert. All diese Besonderheiten und Anforderungen müssen wir hier bei DESY mit einrechnen und Konzepte und Lösungen dafür entwickeln.“
Für den Umbau von FLASH war die Zusammenarbeit vieler Gruppen bei DESY maßgeblich, um Prozesse möglichst effizient und dabei kostengünstig umzusetzen. Dieser „DESY-Spirit“ hat sich schon in der Vergangenheit bei der Umsetzung von Projekten wie dem Bau des European XFEL immer wieder gezeigt und wird Vorhaben wie das zukünftige Leuchtturmprojekt PETRA IV erst ermöglichen. „Für den FLASH-Umbau haben wir hier neue Strukturen geschaffen, in denen Wissenschaft, Technologieentwicklung, Werkstätten und Verwaltung optimal zusammenarbeiten und Terminverbindlichkeit auch bei äußerst komplexen Zeitplänen eingehalten wird“, freut sich Britta Redlich, Direktorin für den Bereich Forschung mit Photonen. „Das gibt mir große Zuversicht für unsere ambitionierten Zukunftspläne. Wir planen mit PETRA IV den Bau der weltweit führenden Synchrotronstrahlungsquelle, und schon heute eröffnet FLASH mit seinen einzigartigen Parametern Möglichkeiten für viele ganz neuartige Experimente.“
Im Rahmen des ersten Teilprojekts von FLASH2020+ war in den Jahren 2021-2022 bereits der erste Abschnitt von FLASH – von der Elektronenquelle bis zum Ende der Beschleunigerstrecke – umgebaut worden, um unter anderem die Qualität der Elektronenstrahlen zu verbessern und die Elektronenstrahlenergie zu erhöhen und damit die Wellenlänge des erzeugten Lichts zu verkürzen. Der jetzt abgeschlossene Umbau macht es möglich, die Undulatorstrecken von FLASH1 und FLASH2 mit hoher Flexibilität parallel und unabhängig voneinander zu betreiben. Dadurch können in Zukunft mehr Forschungsgruppen als bisher mit Röntgenlaserpulsen mit maßgeschneiderten Eigenschaften für ihre Experimente versorgt werden, und die für die Forschung bei FLASH verfügbare Strahlzeit wird erheblich erhöht.
Sobald FLASH wieder im vollen Umfang betriebsbereit ist, kann nur die Anzahl potentieller Nutzer:innen deutlich gesteigert werden, sondern auch die Bandbreite und die Möglichkeiten für Experimente. Damit bleibt FLASH eine weltweit einzigartige Forschungsanlage. Bis es allerdings richtig mit der Wissenschaft am geseedeten FLASH losgehen kann, muss noch viel passieren: „Die Inbetriebnahme einer solch komplexen Strahlführung wie FLASH1 dauert mehrere Monate, da alle Komponenten optimal zusammenspielen müssen, um maßgeschneiderte Photonenpulse für Experimente zu erzeugen”, sagt Lucas Schaper. „Auch der an FLASH erstmals demonstrierte und weltweit einzigartige Parallelbetrieb von externem Seeding und Self-Amplified Spontaneous Emission (SASE) mit den unterschiedlichen Anforderungen an die Elektronenstrahlen gestaltet den Betrieb deutlich anspruchsvoller.” An FLASH2 sind schon ab November wieder die ersten Messungen geplant; der grunderneuerte FLASH1 liefert voraussichtlich im Frühjahr/Sommer 2026 sein erstes geseedetes Röntgenlicht an die Messstationen.
„Unsere Teams haben hervorragende Arbeit bei der Modernisierung der Maschine geleistet, und bereits wenige Tage nach dem Neustart haben sie es geschafft, die Elektronenpakete durch die gesamte Maschine zu leiten“, sagt Wim Leemans, Direktor des Beschleunigerbereichs. „Das ist eine herausragende Leistung nach so einem massiven Umbau, bei dem der Beschleuniger ja auch von seiner Betriebstemperatur von -271 Grad auf Zimmertemperatur aufgewärmt werden musste. Mit dieser bedeutenden Weiterentwicklung werden wir unseren Nutzer:innen bald einzigartige Möglichkeiten bieten und damit die Tür zu spannenden neuen wissenschaftlichen Herausforderungen öffnen. Die Transformation von FLASH markiert den Abschluss des ersten Kapitels von DESYs strategischer Trilogie für unsere zentralen Photonenquellen, auf das PETRA IV und der Upgrade des European XFEL folgen werden. Zusammen werden diese Upgrades unsere Zukunftsfähigkeit sichern.“