Peptid mit wechselnder Gestalt
Eine neue Studie liefert mithilfe einer einzigartigen Kombination aus Röntgenkristallographie und Kryo-Elektronenmikroskopie Erkenntnisse über Amyloide. Diese sind vor allem im Zusammenhang mit Krankheiten wie Alzheimer bekannt, kommen aber auch in Lebewesen wie Fröschen vor. Die Studie zeigt, dass Amyloide unterschiedliche Strukturen bilden, die als natürlicher Mechanismus des Immunschutzes nützlich sein könnten.
Was haben der australische Bunte Flusslaubfrosch und Alzheimer-Patienten gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht viel – aber es gibt eine spezielle Proteinstruktur, die für beide eine entscheidende Rolle spielt. Diese Proteinfasern, sogenannte Amyloide, findet man im Gehirn von Menschen, die an Alzheimer leiden. Sie kommen auch auf der Haut von Amphibien (wie dem Laubfrosch) vor, wo sie eine ganz andere und viel positivere Rolle spielen: Sie zerstören schädliche Keime. Meytal Landau, Strukturbiologin am Zentrum für Struktur- und Systembiologie CSSB, und ihr Team versuchen herauszufinden, ob die positiven Aspekte des einen zum Vorteil des anderen genutzt werden können.
Mithilfe einer Kombination von Techniken, die es so nur bei DESY gibt – Röntgenkristallographie an PETRA III, Kryo-Elektronen- und Lichtmikroskope des CSSB und Rechenanlagen von DESY – untersuchten die Wissenschaftler:innen das von Fröschen stammende Peptid Citropin 1.3. Sie fanden heraus, dass Citropin 1.3 verschiedene Formen annehmen kann, von klassischen Amyloidfasern, die wie dicht gepackte, übereinandergestapelte β-Faltblätter aussehen, über α-helikale Strukturen bis hin zu mehrschichtigen Nanoröhren mit einer einzigartigen gemischten Architektur. Die Bilder in atomarer Auflösung zeigen die verschiedenen Formen sehr detailliert und ebnen den Weg für ein viel besseres Verständnis der einzigartigen Eigenschaften dieser Peptide. Auch die Kombination der Techniken ist entscheidend: Während die Röntgenkristallographie eine Fülle erstaunlicher Formationen offenbarte, war die Amyloidform nur mit den Kryo-Elektronenmikroskopen zu sehen.
Das Team glaubt, dass die beeindruckende Fähigkeit des Peptids, seine Form zu verändern, darauf zurückzuführen ist, dass Amphibien sich an schnell wechselnde und extreme Umgebungen anpassen müssen – von heiß zu kalt, von nass zu trocken und meist sehr schmutzig und voller Mikroben. Sie fanden auch heraus, dass Citropin 1.3 dynamisch mit Zellmembranen interagiert und winzige Flüssigkeitströpfchen im Inneren der Zellen bildet, wodurch es effektiv in der Lage ist, Zellen abzutöten und möglicherweise das genetische Material zu manipulieren.
„Diese Erkenntnisse verändern unser Verständnis von Amyloiden als Krankheitserreger. Sie erweisen sich als vielseitige biologische Werkzeuge mit spezifischen Funktionen und Steuerungsmöglichkeiten, die über die Ebene der DNA-Sequenz hinausgehen“, fasst Meytal Landau zusammen. „Der nächste Schritt wäre zu prüfen, wie wir diese Vielseitigkeit zu unserem Vorteil nutzen können, beispielsweise für die Entwicklung antimikrobieller Strategien oder intelligenter Biomaterialien.“
Bei Alzheimer- oder Parkinson-Patienten bilden die Amyloidfasern Plaques, die die normale Zellfunktion beeinträchtigen. Die Frage ist: Warum bilden sie sich überhaupt? Können Menschen Amyloide bilden, um Krankheitserreger zu bekämpfen, und könnten diese Krankheiten Anzeichen für erfolgreich abgewehrte Hirninfektionen in jüngeren Jahren sein? Kann die Bildung von Plaques verhindert werden, wenn man sich ihrer früher bewusst wird, und können wir in Zukunft unsere eigenen antimikrobiellen Wirkstoffe und Materialien herstellen, die auf Umweltveränderungen reagieren? „Derzeit brummt dieses Forschungsfeld“, sagt Landau. Die Ergebnisse ihres Teams dürften weitere Fortschritte ermöglichen.
Die Untersuchungen waren allerdings nicht ganz einfach. „Die größte Herausforderung bestand darin, die extreme strukturelle Vielfalt von Citropin 1.3 und seine starke Empfindlichkeit gegenüber Umweltbedingungen zu erfassen“, erklärt Landau. Das Peptid bildete gleichzeitig mehrere Fibrillentypen, weshalb das Team verschiedene Methoden anwenden musste, um diese zu erfassen, wobei es wusste, dass es noch mehr davon gibt. „Eine weitere große Hürde war die Kombination von strukturellen, biophysikalischen und zellulären Daten, da sich die Aktivität des Peptids mit seiner Form ändert und sich seine Form im Laufe der Zeit und als Reaktion auf Wechselwirkungen mit Membranen und intrazellulären Komponenten verändert.“ Mit den derzeitigen Technologien ist es praktisch unmöglich, die dynamischen Strukturveränderungen, denen das Peptid in seiner natürlichen Umgebung unterliegt, präzise zu erfassen. In den kommenden Jahren wird die Überwindung dieser Einschränkungen eine zentrale Herausforderung für die Bildgebungs- und Strukturbiologietechnologien der nächsten Generation sein – darunter auch zukünftige Lichtquellen wie PETRA IV.
Originalveröffentlichung
F. Strati, M. P. Cali, Y. Bloch, et al. “ Structural and Functional Versatility of the Amyloidogenic Non-Amidated Variant of the Antimicrobial Peptide Citropin 1.3.” Adv. Sci. (2025): e03997.